Ein Fragment
1. Flo´s Geschichte:
„Ist das so?“ fragte Flo. Er schien den Kopf ein wenig zu schütteln; aber jeder, dem Flo zuhörte, hatte sofort das Gefühl, dass Flo das Wichtigste auch verstanden hatte, dass er die innere Unabhängigkeit hatte, sich in die Position seines Gegenübers hineinzuversetzen.
„Ist das so?“ fragte Flo noch mal.
Eigentlich war Flo ein Teddy, ein lieber kleiner Teddy, den alle immer streicheln wollten, weil er ein so schönes weiches Fell hatte. Und Flo war besonders gelenkig: Er konnte ganz energisch mit dem Kopf nicken, und brachte so seine begeisterte Zustimmung zum Ausdruck. Oder er beugte sich in seiner sitzenden Haltung ganz weit nach vorne. Als ob er neugierig seine Nase in alles hineinstecken wollte. Und wenn er unruhig wurde, dann rutschte er ganz aufgeregt hin und her. Manchmal tanzte er auch. Auf seinen kleinen Beinen und mit seinem runden Bäuchlein sah das richtig putzig aus. Nur selten wurde er richtig pathetisch. Dann richtete er sich auf und reckte sich ganz nach oben. Voller Inbrunst berichtete er von seinen Großtaten. Aber das besondere an Flo war das: Flo war kein brauner, gewöhnlicher Teddy. Nein, Flo war ein durch und durch weißer Teddy, ein Eisbär. Seine großen schwarzen Kulleraugen hoben sich deutlich von seinem hellen Fell ab. Und seine dunkelbraune Ledernase war immer so deutlich zu erkennen, dass man anfassen wollte, um zu prüfen, ob sie auch kühl wäre; so wie es sich für einen gesunden Bären gehört. Flo war also ein Eisbär. Man konnte es sich richtig vorstellen, wie die weiße Farbe seines Fells als Tarnfarbe seiner natürlichen Umgebung angepasst war: An das Weiß des Nordpols oder an die blendende Helligkeit des Schnees am Südpol. Oder an den weißen Sand am Strand von Florida.
Ja, Moment was hat denn ein Eisbär am Südpol zu suchen? Und was macht er in Florida?
2.Möhrchen in der Weltpolitik:
Und während Flo noch über seine Geschichte nachdachte, holte der Alltag der großen parlamentarischen Sitzung Flo wieder ein:
Alle waren Sie gekommen. Zu der großen Sitzung vor dem DEMDEU. Alle Teddys waren da. Die Regierungsbank war fast vollständig besetzt. Und auch die meisten Meerestiere auf der Oppositionsbank.
Schon meldete sich der nächste Redner zu Wort: „Hihi!“ rief Schlumpi. „Hihi, der ganze Ausschuss ist ebenfalls der Meinung, dass wir entschieden mehr Möhrchen essen müssen! Allerfrischeste junge Möhrchen. Ich möchte immer mehr Möhrchen. Mhm, lecker lecker Möhrchen!“
Flo blickte unbewegt drein und schaute den Sprecher halb amüsiert, halb fragend an. Obwohl nicht irgendwer gesprochen hatte. Nein, der Minister hatte gesprochen. Und zwar der Minister für besondere Angelegenheiten höchstpersönlich. In elegantem Grau, erhobenen Hauptes und mit selbstbewusst geschwellter Brust. Eine vornehme Erscheinung, der Minister. Stets trug er eine breite rote Schärpe über seiner stolz geschwellten Brust und rühmte sich seiner weiten Sprünge. Und mitten in so einem Sprung könne er noch einen Kobolz einlegen.
Schon seit einer Viertelstunde hatte der Minister auf das ganze Parlament eingeredet. Er hatte sich richtig am Möhrchenthema festgebissen. Und es durchgekaut. Und wiedergekäut. Als wollte er alle Möhrchen auf dem gesamten Planeten herumkarren.
Beinahe hätte Flo ein viertes Mal gefragt: „Ist das so?“ Aber da kam auch schon ein zustimmendes Murmeln vor dem DEMDEU auf. Sogar die Miesmuschel von der Opposition nuschelte: „Möhrchen, meinetwegen Möhrchen.“ Und kaum einer mochte mehr hinhören, was die alte Miesmuschel noch ergänzte: „Ob mehr (mehr oder Meer?) Möhrchen oder See-Gurken, das macht doch keinen so großen Unterschied. Ist ja heutzutage doch alles nicht mehr so wie früher. Richtig mies ist es heutzutage."
Und in der allgemeinen positiven Stimmung stellte Flo fest: „Wenn der Minister es meint und, wenn der Ausschuss dieser Ansicht ist, und wenn selbst die Herren von der Opposition kaum dagegen zu sein scheinen, dann ist es wohl so!“
„Hihi!“, antwortete der Minister. „Hihi, so viele Möhrchen können für alle gebraucht werden. Alle sollen viel mehr Möhrchen vor Augen und auf dem Teller haben.“
„Aber eigentlich ist doch das Nationalgericht unseres Planeten Honig!“ entgegnete Flo. „Schöner köstlicher Honig. Goldgelb und durchsichtig.“
Aber da hatte Flo den Minister doch unterschätzt. Jetzt baute er sich zu voller Größe auf und kicherte in sich hinein. „Hihi“, freute er sich. „Hihi, Honig sollen sie alle schlecken. Honig und immer nur Honig. Honig bis die Karies ihnen die Zähne alle einzeln ausfallen lässt. Bis sie vor lauter Honig zahnlos und kraftlos den Honigtopf nicht mehr aufkriegen.“
Das ließen die Teddys aber nicht auf sich sitzen. „Müder Möhren-Minister muss Möhren-Mühle mieten!“ lästerten sie. „Tumbe Teddys tauchen im Honig-Topf unter!“ tuschelten die Tiefseekrebse. Bevor ein Tumult im Parlament auszubrechen drohte, brach Flo die Sitzung besser ab.
3.Honig im Weltall:
Alle Teddys und alle Oppositionellen hatten sich wieder vor dem ehrwürdigen und uralten DEMDEU versammelt, als Flo die weitere Sitzung eröffnete. „Mit Dank an den Minister für besondere Angelegenheiten haben wir alle sein Votum für die Verbesserung der Möhrchenversorgung vernommen!“, fuhr Flo nach der Sitzungspause fort. „Aber das Nationalthema für unseren Planeten ist doch Honig. Die Honig-Brücken zu den anderen Planeten gehören zu den Großtaten des Staates und zu ihren technischen Meisterleistungen. Viele Generationen haben sich an diesem existentiellen Problem schon die Zähne ausgebissen.“
Da quakte die Qualle dazwischen: „Zähne, so ein Quatsch! Ich brauche doch auch keine!“ „Ja, ja“, beruhigte sie Flo. “Ja Herr Qualle, auch Querdenker wie Sie sind für die Arbeit unseres Planeten sehr wichtig.“
Und Flo kehrte zum eigentlichen Problem zurück: „Nein, nicht wegen der Karies habe ich über die Zähne geklagt, sondern nur symbolisch."
Es war technisch einfach so schwierig, diese Unmengen von Honig über so große Entfernungen und in so großen Mengen herbeizuschaffen.
Man hatte mit langen Schläuchen durch den ganzen Weltraum hindurch experimentieren wollen. Aber schon die Teststrecken waren ein richtiger Flop geworden. Jedes Mal, wenn ein paar Kilometer Schläuche verlegt waren und, wenn dann die große Honigpumpe von Ihrem Erfinder Josef Beuys angeschlossen werden sollte, dann bildeten alle am Experiment beteiligten Teddys einen Ausschuss und legten spontan die Arbeit nieder. „Wir sind die Realfundamentalistische Honigpartei, die RFH“, brüllten sie. „Es lebe die RFH!“ Und dann zogen sie durch die Straßen zu einem großen Protestaufmarsch bis vor das DEMDEU. „Die Grundlagen der nationalen Honigpolitik müssen auf das Fundamentelle zurückgeführt werden. Und das ist: Honig für uns alle!" Und alle skandierten: “Ho-Ho-Honig wolln wa!“ Und zogen durch die halbe Stadt.
4.Das Rätsel des Motten-Krieges:
Da meldete sich der Hummer und hustete: „Der Anlass zur Bildung der RFH war nur der dunkle Herbstabend gewesen! Die Arbeitenden müssen an so einem kühlen und regnerischen Tag schlechter Laune gewesen sein. Einfach in der allherbstlich schlechten Laune“.
„Das kennen wir alle“, bestätigte Flo. „Bisher hatten wir in jedem Herbst eine Katastrophe. Zum Beispiel sind im Herbst 3001 sind die Motten gekommen. Schrecklich! Die pelzfressenden Motten, dieses Unheil aller Teddys! Diese rücksichtslosen und dahergeflogenen Fressmaschinen! Wie sahen einige von uns aus: Großflächig angefallen und enthaart. Die sonst so sauber zurechtgestutzten Öhrchen – nackt. Die rundesten Füßchen unserer Damen – klein, eckig und mit sichtbaren Nähten. Oh, oh, oh!", stöhnte Flo und der Seufzer des Erfahrenen schien sich aus seiner weißen Brust zu ringen.
„Hihi!“, kicherte der selbstbewusste Minister Schlumpi dazwischen. „Hihi, da hatten etliche Probleme mit ihrem Profil. Ohne jede Linie. Zerfranst, zerzaust und unregelmäßig. Das ganze Profil – einfach ausgefressen. Als ob sie sich nach dem Winde gedreht hätten.“
Eine Katastrophe drohte den Planeten heimzusuchen. Weil die Damen so unattraktiv aussahen, waren viele Herren gar nicht mehr so eifrig. „Hihi, was heißt hier eifrig?“, fragte der Minister. „Welcher Eifrig ist denn eigentlich gemeint?“ Vorwitzig konnte er sein, der Herr Minister. Richtig vorwitzig und gar nicht so enorm vornehm wie er immer auftrat. „Ei-Frig“, so erklärte ihm Flo scheinbar ganz vordergründig, „Ei-Frig soll vor Jahren eine erfolgreiche Firma zur Herstellung von Eier-Kühlaggregaten gewesen sein. Frig für Re-Fridgerator. Anfangs sehr erfolgreich durch ihre kluge Beschränkung auf eine sauber definierte Marktnische, aber später nicht mehr innovativ genug. Mangels neuer Anschlussideen wieder vom Markt verschwunden.“
Da kugelte sich der Minister vor Lachen: „Kühle Eier, HiHi, da hatten Sie kühle Eier. Nein so was. Kühle Eier. Kein Wunder, dass viele nicht mehr viel brachten! Ich lach´ mich kaputt.“
„War das so?“, fragte Flo. „War das wirklich so? Oder entstand das Problem nicht viel mehr dadurch, dass die zerfressenen Fellchen von etlichen Damen sie in den Augen der Herren so unattraktiv machten, dass Sie gar nicht mehr auf die Idee eines Einsatzes für die Fortpflanzung unserer Bevölkerung kamen?“
Da freute sich der Minister erst recht:“ Unattraktiv kühl wirkende Damen. Obercool, wirklich obercool, die verfressenen Fellchen mit ihren gekühlten Eiern! Hihi, ist doch klar, warum da nichts läuft. Ich setzte auf Möhrchen; viele, viele Möhrchen!“
Und die Seerobben röhrten: “Hört, hört!“
„Hilft das so? Helfen Möhrchen wirklich so?“, bemühte sich Flo zu fragen. Wer ihm in diesem Moment tief in die dunklen Augen geschaut hätte, der hätte gewusst, dass auch Flo wusste, was der Minister eigentlich meinte. Im Kern enthielten die Witze des Ministers schon etwas Ernsthaftes. Aber das war unter der Oberfläche von seinen ordinären Sprüchen nicht so einfach zu entschlüsseln. Manchmal konnte man sogar denken, dass der Minister ein Emporkömmling wäre. Ein potenter Kerl, der mit seinen Möhrchen immer nur Einseitiges im Sinne hätte. Zwar ein Macher, aber keiner, der über den tieferen Sinn seines Tuns all zu lange nachdenkt.
„Hihi, die Mottenkatastrophe! Ich sage dazu immer wieder: Möhrchen, Möhrchen, Möhrchen. Möhren und Motten: Flo, das ist ein Sextett, bei dem die Möhren gegenüber den Motten gewinnen. Das ist doch auf den ersten Blick ersichtlich!“
Flo schaute aufmerksam herüber und fragte wieder zurück: „Ist das mit dem Sextett so?“. Aber so ganz schien er noch nicht überzeugt zu sein. „Flo, stelle doch mal Möhren und Motten gegeneinander auf. So wie in alten Schlachten. Direkt einander gegenüber.“ Flo grübelte: “Wie viele Möhrchen sind denn in die Schlacht gezogen? Oder müsste es nicht heißen FÜR die Schlacht gezogen?“ Jetzt schmunzelte Schlumpi wieder: „Flo, Du sollst die Möhren doch nicht bloß ausziehen. Nein, gegeneinander aufstellen sollst Du sie. Das geht schon mit nur einer einzigen Möhre und einer einzigen Motte. Dann haben wir zwar nur ein Quintett, aber das geht auch noch. Die Möhre ist ein Quintett und die Motte auch. Statt Quintett kann man auch einfach 5 sagen. M-O-T-T-E; das sind doch 5, oder?“
„Tja!“, antwortete Flo. „M-O-T-T-E, das hat 5. Aber doch nur 5 BUCHSTABEN. Wie kann man mit 5 Buchstaben eine Katastrophe in den Griff kriegen?“
Jetzt lief der Minister zur Hochform auf. Er erhob sich und legte sich voll in die Brust: „Die MOTTE hat 5 Buchstaben und die MÖHRE hat 5 Buchstaben. Jawoll, und deshalb überdecken sie sich. Jedem Buchstaben der einen Seite steht ein Buchstabe der anderen Seite gegenüber. Es passt genau! Hihi, ist das nicht einfach grandios? Ein richtig großer Trick. Ja, da staunst Du, Hihi und die Opposition wundert sich! Jetzt weißt Du, warum ich der Minister geworden bin!“
Ja, Flo staunte wirklich. „Und, lieber Minister?“ fragte er vorsichtig, “wir spielen nicht ein Kreuzworträtsel sondern Krieg! Krieg gegen die Motten.“
Jetzt wurde der Minister richtig theatralisch: „Krieg und Kreuzworträtsel sind eigentlich fast dasselbe: Zwei Seiten stehen sich gegenüber. Plötzlich hat eine Seite keine Lust mehr, hihi, einfach keine Lust mehr. Und dann spielen Sie – ob Kreuzworträtsel oder Krieg – egal, aber sie spielen und zum Schluss ergibt sich aus den Regeln, dass einer der Sieger ist. Und dann freuen sie sich und erklären das Spiel – äh den Krieg – für beendet und es geht weiter wie vorher.“
„Ja?,“ wurde Flo ganz neugierig, „Ja, geht das so? Aber welche Regeln galten denn nun in dem großen Krieg der Möhren gegen die Motten? Könnte mir der Herr Minister hier bitte Auskunft geben.“
Flos spöttischer Unterton, seine Anrede mit „Herr Minister“ zeigte, dass er noch immer etwas zu zweifeln schien.
„Hihi, Flo, es ist doch so einfach: Die Regel ist das Alphabet.“
„Und wer – bitte – war der Sieger nach diesen Regeln?“
„Ganz klar lieber Flo, das waren die Möhren. Ich erlaube mir, dir jetzt die ganze Schlacht zu schildern, als Kriegsberichterstatter. Die Zeit muss sein: Zuerst hatten beide Parteien ein M. Möhren wie Motten. Deshalb sah es zu Beginn des Krieges auch erst nach einem Unentschieden aus. Aber dann ging es weiter. Dann kam das Ö. Und das kommt ja nun vor dem O. Also Vorsprung für die Möhren. Und dann das H. Das H kommt so viel eher als das T, das brachte die Möhren gewaltig nach vorne. Selbst das R kommt immer mit Abstand vor dem T. Da hat es den Motten auch nicht mehr geholfen, dass sie am Ende mit dem E und mit dem N wieder gleichauf lagen.
Hihi und Hurra, Sieg für die Möhren auf der ganzen Linie!“
„Ja ja“, wackelte Flo mit seinem weißen Haupt, „wenn das so war, dann war das wohl wirklich kriegsentscheidend für die Möhren. Nur eins noch. Waren die Motten denn nicht Analphabeten? Konnten die das Alphabet überhaupt hersagen?“
„Tja“, räusperte sich Flo und kratzte sich am Kopf. Jetzt kicherte der Minister gar nicht mehr so hörbar. Daran habe ich ja nicht gedacht. So ein Pech. Warum können diese dummen Motten das Alphabet nicht?“
Und so kam es das diese parlamentarische Runde vor dem DEMDEU doch wieder als Punktsieg an Flo ging. Alle Teddys gönnten sich eine parlamentarische Pause und gingen um Honig zu schlecken.
5.Die Motten-Mütter-Müde-Macher:
„Meine Teddys! Sehr geehrte Parlamentarier!“, eröffnete Flo die nächste Sitzung. „Nach meinen Unterlagen konnte die Mottenkatastrophe ganz schnell wieder eingekreist werden“, las Flo vor. „Die CIA, unsere Charismatische und Intelligente Arbeitsgruppe hatte gegen den erklärten Willen des Haushaltsausschusses seit Jahren einen riesigen Tross von kastrierten Motten unterhalten und als Under-Cover-Agenten geschult. Jetzt konnten diese Mottenmannen endlich an die Front geworfen werden. Mit mutigem Einsatz gelang es ihnen, die Mehrzahl der Mottenmütter im matten Mondschein dergestalt zu verführen, dass alle Motteneier unfruchtbar waren. Die Mottenkatastrophe ebbte ab. Das ist das Verdienst von der Abteilung des wackeren Generals von Kießling!“ Da gluckste der Minister wieder vor Lachen und kicherte weiter: „Kühle Eier, immer wieder kühle Eier.“
Aber Flo tat so, als ob er den frivolen Zwischenruf ignorierte und fuhr fort: “So wie jede sachbezogene Katastrophe konnte also auch die Mottenkatastrophe schnell beendet werden. Lieber Minister, da hatten wir doch etwas zum Greifen. Da konnten wir eingreifen und die Motten angreifen und mit vollem Einsatz auf die Motten zugreifen. Beherztes Durchgreifen war hier die Lösung!“
„Aber wir sind ganz von den Honigschläuchen abgekommen und haben aus den Augen verloren, weshalb daraus nichts wurde.“
Aber der Minister kicherte immer noch und schien stillvergnügt vor sich hin zu lachen. „Schlumpi, hörst Du mir überhaupt noch zu?“, fragte Flo. “Oder hast Du bloß Möhrchen im Kopf ?“ . Der Minister schien jetzt wirklich nicht mehr sehr konzentriert zu sein. Aber der Flop der Honigschläuche hatte vielleicht auch andere Ursachen. “
6.Die Polarisierung von Flo:
„Honig, immer nur Honig“, dachte sich Flo. “Ich könnte auch ohne Honig überleben!“ Ihm selbst fielen Peanuts ein. Knackige, geröstete Peanuts. Immer wenn er nachdachte, naschte er dabei Peanuts. Und Flo dachte viel nach. Zum Beispiel über seine eigene Geschichte und Herkunft. Eigentlich war Flo ja aus China. Made in China – das stand auf dem kleinen Etikett an Flo´s Rückseite, da wo sein kuscheliges Fell zusammengenäht war. Aber im Sitzen sah das zum Glück keiner. Denn Flo selbst fühlte sich keinesfalls wie ein Chinese. Er hätte sich sogar entschieden dagegen gewehrt, als chinesischer Bär klassifiziert werden. Vielleicht noch als Panda-Bär, dem die schwarzen Flecken im Vollwaschgang abhanden gekommen wären. Nein, Flo war richtig stolz darauf, ein Eisbär zu sein. Und die Heimat von Eisbären ist nun mal der Nordpol. Da wo sich Eisschollen in klirrender Kälte herumtreiben und rechtschaffene Robben reihenweise von den Eisschollen runterrutschen. Um dann im Wasser noch eleganter wie die Fische herumzuschwimmen. Da fühlte sich Flo zu Hause. Zuhause als ein kleiner Bär, der auf dem Rücken seiner großen Mutter mitreitet und die großen Weiten der Eiswüste erkundet. Da passt die Farbe seines schönen weißen Fellchens. Da hält ihn sein Fell gut warm. Und da passt vor allem seine Größe: Flo ist zwei Handspannen groß, also gerade so groß wie die jungen Eisbären. In seiner Rolle als junger Eisbär erkundete Flo seine Umwelt. Seine Mutter merkte kaum sein Gewicht, wenn sie Ihrem Nachwuchs die Besonderheiten des Eismeers zeigte: Die endlosen Flächen zusammen geschobenen Packeises, die steilen Wände der großen Eisberge und das gewaltige Getöse, wenn der Eisberg kalbte und die herunter brechenden Eismassen in das aufspritzende Wasser klatschten.
Und dann hat ihm seine Mutter auch viel gezeigt, was eigentlich gar nicht zum Nordpol gehörte. Die schwarzen U-Boote, die unter dem Eis herumfahren und nicht wissen, wo sie wieder auftauchen können. Die silbernen Schneeschlitten, die gar nicht wissen, wo sie eine Piste zum Ausfahren Ihrer Höchstgeschwindigkeit ausmachen können und die roten Forschungsschiffe, die nach dem Ozonloch und nach der globalen Erwärmung suchen und auch nicht wissen, warum sie das hier finden. Und dazwischen die grünen Schlauchboote von Robin Wood und Greenpeace. Die sind dagegen, dass die schwarzen und die silbernen und die roten Fahrzeuge am Nordpol unterwegs sind. Und deshalb fahren sie auch noch umher. Und wie alle anderen blieben sie häufig stecken und wussten nicht mehr, wie sie nach Hause kommen sollten. Dann versammelten sich alle Menschen auf den Fahrzeugen, bildeten einen Ausschuss und berieten gründlich und bis zur nächsten Mahlzeit, was getan werden könnte. Fast so wie heute im Parlament. Nein, eigentlich ganz genau so wie im Parlament.
7.Peanuts am Pol:
Vor einem von diesen Fahrzeuge hat Flo die Forscherin getroffen. Das war als er am Neujahrstag in den Hinterlassenschaften der Sylvesterparty herumschnüffelte. Was lag da nicht alles rum: Schwarzer Kaffee aus zerplatzten Filtertüten, verbogene silberne Löffel, kleine rot-glitschige Plastiktüten und grüne Sektflaschen. Von dem Dunst aus den Sektflaschen wurde Flo ganz benebelt. Zwischen all diesen Sachen lagen lauter kleine gelbe Halbkugeln. Flo leckte daran und sie schmeckten etwas salzig. So wie das Meerwasser. Neugierig wie junge Bären sind, biss Flo in eine Halbkugel hinein. Mhm, das war lecker. So etwas hatte Flo in seinem jungen Eisbärleben noch nie gekostet. Flo probierte mehr. Und mehr. Bis er fast alle Peanuts aus der geplatzten Peanut-Tüte leer gefressen hatte. Uih, jetzt war er richtig satt und setzte sich gemütlich hin. Gerade so, dass man sein Schildchen „Made in China“ nicht lesen konnte.
In dem Moment öffnete sich die Tür des Fahrzeuges und Flo guckte auf. In der Tür kam ein schöner weißer Pelz zum Vorschein. So wie sein eigener. Freudig galoppierte Flo drauf zu und freute sich auf seine Mutter. Aber wie er näher kam, da merkte er, dass es Unterschiede gab: „Nein, meine Mutter hat nicht so lange Tatzen. Und meine Mutter hat vier Beine. Aber hier sind nur zwei. Und vor allem hat meine Mutter so ein langes, manchmal etwas zotteliges Fell. Und hier schaute Flo auch auf fast weißes Fell. Etwas cremefarben. Aber ganz regelmäßig, als ob das Fell frisch gebürstet wäre. „So wie mein eigenes schönes Fellchen“, dachte Flo und schaute neugierig an den Fell-Beinen weiter nach oben.
Und plötzlich traf ihn ein Schock. Weiter nach oben hörte das Fell abrupt auf. Flo sah rot, alles nur rot. Sein Fluchtreflex meldete sich und brüllte: “Sofort abhauen!“ Und Flo zuckte zurück. Aber dann meldete sich seine Neugier und fragte vorlaut den Fluchtreflex: „Muss das so sein? Könnten wir vor dem Abhauen nicht schnell noch prüfen, was auf das Rot denn folgt? Wäre es nicht interessant zu wissen, warum wir überhaupt flüchten sollen?“ Damit hatte der Fluchtreflex nicht gerechnet. Das passte ihm nicht und er keifte zurück: „Ich, der Fluchtreflex höchstpersönlich, habe befohlen. Das ist erstmal Grund genug!“ Aber irgendwie beschämt war er dann doch, der arrogante Fluchtreflex. „Meinetwegen ganz kurz hinschauen, aber gefälligst nur im Rückwärtsgehen“, gestand er der Neugier zu.
Und jetzt sah Flo, warum er rot gesehen hatte. Er hatte signalroten Stoff gesehen. Rote Textilien quollen aus dem Pelz heraus. Durch und durch rot. Nur an den Seiten zogen sich schwarze Streifen über den Stoff weiter nach oben. Jetzt merkte Flo, dass der Pelz gar nicht zu einem Eisbär gehörte, sondern zu einem Paar Stiefeln. Und in diesen Stiefeln steckte ein roter Overall. Um den ganzen Overall herum war ein silberner Gürtel geschnallt. Und in dem Overall steckte eine Frau. Flo war in seiner Neugier ganz überrascht. Überrascht wie schön die Frau war. Sie hatte ein schmales Gesicht und eine scharf geschnittene Nase, große dunkle Augen und einen freundlichen Mund. „Fast wie ich“, dachte sich Flo. „Zwar ist mein Gesicht nicht so schmal, aber meine Ledernase ist auch ganz scharf ausgeschnitten, meine großen Augen sind auch dunkel und mein Mund schaut freundlich.“
„Siehst Du“, sagte Flo´s Neugier übermütig zu Flo´s Fluchtreflex, “Siehst Du, wie gut, dass wir nicht gleich abgehauen sind“, freute sich die Neugier. „Sonst hätten wir nicht mitbekommen, dass es nicht die rote Gefahr ist, sondern eine freundliche Frau. Schauen Sie doch bitte hin, Kollege Fluchtreflex, schauen Sie, wie schön die Frau ist! Sieht sie nicht richtig gut aus?“ Und der Fluchtreflex musste einsehen, dass er wieder mal vorschnell gewesen war. Die Neugier hatte ja eigentlich recht. „Ist das so? Ist das so? Wo ist denn bitteschön der Maßstab für die Schönheit zu finden?“ grantelte der Fluchtreflex. Aber die Neugier mochte nicht länger streiten. „Das sogar ein derart einfältiger Geist wie der Fluchtreflex mitunter so wichtige Wahrheiten im Alltag erkennen kann“, wunderte sich die Neugier und wandte sich wieder der schönen Frau zu.
Als die Frau Flo sah, da wurde ihr Mund noch freundlicher. „Schaut mal wie süß!“ rief sie. „Da ist ja ein Eisbär! Und so klein. Ist der kleine Eisbär nicht knuddelig? Und wie treu er guckt. Fast wie ein Teddy-Bär! „Und sie war richtig begeistert. Da war eine Abwechslung im öden Alltag der Forschungsstation. Flo sah im Türrahmen des Fahrzeuges immer mehr Gesichter.
„Fast wie ein Teddy-Bär“, echote Flo. „Ja was für ein Wunder. Ich bin doch ein Teddybär“, grummelte er. Und guckte die Frau neugierig an. „Komm mal her! Komm!“ lockte die freundliche Frau. „Komm, lass Dich ein bisschen streicheln. Ja Du bist ein lieber kleiner Eisbär. Weißt Du, dass Du fast wie ein Teddybär aussiehst?“ Sie hob Flo hoch, nahm ihn auf den Arm und streichelte ihn. Das gefiel Flo, das mochte er. „Wenn ich auch auf den Arm genommen werde“, sagte Flo zu sich, “dann bin ich trotzdem mit einer schönen Frau zusammen. Davon kann ich mehr vertragen.“ Flo genoss es. Glücklich und zufrieden lächelte er Und hörte verträumt zu wie um ihn herum alle sagten: „Ach wie niedlich! Er lacht so freundlich!“ Ist der nicht süß! Nein, wie süß der ist! Ach der süße kleine!
8.Geschlauchte Süße:
„Die Süße muss bleiben! Die Süße muss bleiben!“, hallte es durch das ganze Parlament, als Flo aus seinen süßen Träumen aufschreckte. „Die Süße muss bleiben!“, wiederholte selbst der sonst so stille und fleißige Arbeitsteddy in den Hinterbänken des Parlaments. Ein geduldiges und kontinuierliches Element aller Arbeitskreise, Arbeitsgruppen, Ausschüsse, Diskussionsteams, Sitzungen, Beratungen und Meetings. Geduldig schrieb er immer wieder Einladungen, Erinnerungen, Mitschriften, Protokolle und Aktennotizen aus „gegebenem Anlass“. Der ganze Parlamentsbetrieb käme ohne den Arbeitsteddy ins Stottern. Deshalb trug der Arbeitsteddy immer demonstrativ derbe Latzhosen und grob karierte Flieshemden. Meistens sogar rot-grün kariert, damit sein angeblich so dynamisch progressives und lockeres Image unterstrichen werden sollte. „Die Süße muss bleiben!“, wiederholte der Arbeitsteddy ein drittes Mal.
„Oh“, murmelte Flo halblaut und fragte sich: „Oh, habe ich bei den süßen Erinnerungen an den Nordpol wohl etwas verpasst?“
Aber da fuhr der Arbeitsteddy schon fort: „Meine sehr geehrten Kollegen Parlamentarier, dann darf ich also zusammenfassen: Auf unserer Agenda steht nach wie vor als TOP 1 die Problematik der Honigversorgung. Als bisheriges Resümee über die bisher noch immer nicht abgeschlossenen Versuchsreihe mit den Honigschläuchen muss als vermutete Ursache mit der laufenden Nummer 1 im Protokoll folgendes festgehalten werden: Die depressive Herbststimmung hat die Grundhaltung der beteiligten werktätigen Teddys außerordentlich negativ beeinflusst. Durch die Schilderung der Parallelen bei dem sogenannten Mottenkrieg, insbesondere bei seiner Ursache und in seinem Ablauf, ist es uns gelungen, diese Vermutung weiter zu verstärken. Auch die alphabetische Herbeiführung der Lösung dieses Krieges ist ein weiteres Indiz für die soziologisch gleiche Charakteristik im Vergleich zur Krise der Honigschlauch-Vorversuche.
„Hihi, Herr Hauptprotokollant“, lachte der Minister dazwischen. „Hihi, könnten Sie eventuell daraus einen verständlichen Satz machen? Ginge das vielleicht?“ Verdrießlich schaute der Arbeitsteddy zu Flo. Der nickte dem Arbeitsteddy beruhigend zu und hörte sich an, wie es der Minister formulierte: „Hihi, Test der Honigschläuche nix geworden – Hihi, wegen Übellaunigkeit aller Teddys Hihi. Genauso üble Stimmung wie damals bei der großen Motteninvasion.“ Und der Minister kicherte belustigt: „Hihi, mit Möhrchen hätten wir die Schlauchprobleme sicher nicht. Esst mehr Möhrchen, stramme junge Möhrchen, denn das erzeugt gute Laune! Hihihi und Hahaha – Freude ist bald wieder da!“ Der Minister schien sich königlich zu amüsieren und schlug einen Kobolz, dass das ganze Parlament staunte. „Seht! Seht!“ sprachen die Seesterne auf der Oppositionsbank. „Mann oh Mann“, murmelte die Muschel. Und ein Raunen und Geflüster zog sich durch alle die Meerestiere in der Oppositionspartei.
Aber der Minister ließ sich nicht beirren: „Sehr geehrte Seesterne, liebe Oppositionelle! Schon berufsmäßig seid ihr immer dagegen. Es ist eben einfach ein anderer Geschmack, den ihr habt. Wasser – nichts als Wasser noch einen Trumpf parat:
Und, lieber Leser, meinen herzlichen Glückwunsch, dass sie bis hierhin durchgehalten haben! Denn jetzt sind Sie dran: Wie sollte die Parabel enden? Möchten Sie einen Bezug zur aktuellen Weltpolitik haben? Fehlt Ihnen noch etwas Erotik? Oder hätten Sie gerne noch einen großen moralischen Zeigefinger, der sich am Schluss warnend erhebt – zum Beispiel die grausige Katastrophe, dass sich das „DEM DEU“ als ein kläglicher Rest aus dem Giebel des geborstenen Reichstages in Berlin erweist, an welchem ehemals in goldenen Lettern prangte: "dem deutschen Volke" ? Wie auf dem „Planeten der Affen“ entpuppen sich die Teddys als die einzigen noch übrig gebliebenen Bewohner unseres nunmehr total verwüsteten Landstrichs?