„…Panoramafreiheit !“
„Was heißt hier Panoramafreiheit? Und was soll ich damit zu schaffen haben?
Für mich ist das ganz einfach: Nur wenn der Blick auf das Panorama frei ist,
ist es überhaupt ein Panorama. Sonst nicht.“
„Nein, das ist damit nicht gemeint. Vielmehr geht es um IHR RECHT! Sie haben nicht nur das Vergnügen ein Panorama anzusehen, sondern genießen zusätzliche die – rechtliche – Freiheit, dieses Panorama abzuzeichnen oder zu fotografieren, das Bild mit nach Hause zu nehmen und an ihre Tante oder an einen Verlag weiterzureichen.“
„Ja klar, ich habe doch eine gute Kamera. Und jetzt auch noch mein neues Smartfon! Tolles Modell, das Wei-Sunk-iah 4 Punkt 2 Exekutive. Kommt mit 12 Mekka-Piksel und 64 Kika. Ge-sto-chen scharfe Bilder, sag’ ich Ihnen!“
„Ach. Mit Mekka und Kika? Können Sie mit Ihrem Gerät Kika, den Kinderkanal ansehen?“
„Nein, kein Fernsehen. 64 Gigabyte ist der große zusätzliche Speicherplatz für meine Fotos. Habe schon einige Tausende zusammen.“
„Und was fotografieren Sie so zu Tausenden, wenn ich fragen darf?“
„Ja zum Beispiel meine Tante. Neulich in Frankfurt vor dem neuen EZB-Gebäude, dem Tower von Wolf Prix aus der Coop Himmelb(l)au – tolle Perspektive. Oder in Lohr vor der Baustelle der Stadthalle von Bez und Kock – toll, wie sie diese rechteckigen Öffnungen über die Fassade verteilt haben, also das ist schon eine echte Leistung!“
„Darf ich das mit der echten Leistung wörtlich nehmen?“
„Ja aber selbst-ver-ständ-lich!“
„Aha. Und was haben die Herren Prix, Bez und Kock dazu gesagt, dass Sie deren große Werke so einfach – mir nichts, Dir nichts – mal eben fotografiert haben?“
„Was die gesagt haben sollen? Ja, nix selbst-ver-ständ-lich. Denn ich habe sie ja auch nach nix gefragt.“
„So, jetzt sind wir endlich bei der Panoramafreiheit. Die drei Herren haben das sog. „Urheberrecht“ an der Gestaltung dieser Gebäude. Weshalb Sie eigentlich die Männer um ihre Erlaubnis bitten müssten, die Bauwerke abzufotografieren und das Bild an Ihre Tante oder an das Stadtmarketing von Lohr zu geben und dafür ein Dankeschön oder einen Fünfziger zu bekommen. Aber die sog. „Panoramafreiheit“ setzt das Urheberrecht außer Kraft .Die Panoramafreiheit erlaubt Ihnen von jedem öffentlich zugänglichen Weg, Straße oder Platz aus zu fotografieren, was sie wollen.1 Oder Sie lassen es – ganz, wie es Ihnen beliebt.“
„Ach. Ich habe aber nur Zwanzig bekommen.“
„Freuen Sie sich drüber. Und zwar recht tüchtig bitte! Denn wenn es nach unseren Obergesetzgebern in Brüssel gehen wird, dann würden Sie bald keinen Zwanziger mehr bekommen, sondern müssten erstmal einen HIN geben. Oder mehr. An die Herren Prix, Bez und Kock.“
„Wofür das denn?“
„Für deren Urheberrecht! Brüssel will die Panoramafreiheit nämlich aufheben. Um das Urheberrecht zu stärken. Zuerst einmal nur für sog. gewerbliche Aufnahmen.“
„Stimmt das?“
„Ja, diese Gesetzesinitiative ist Fakt!“
„Dann soll ich in Zukunft also bei jedem Foto die Urheberrechte in Erfahrung bringen? Und nach einer Fotoerlaubnis vorstellig werden? Z. B. für diese elegante Straßenlaterne und deren Designer? Für den Gestalter der Mülltonne in der Bildecke? Oder für die genialen Zeichner all der mehrstöckigen Bürogebäude, die auf meinen Panoramafotos zu sehen sind?“
„Sie haben es erkannt!“
„Aber haben Sie denn auch erkannt, dass es bei den Abermillionen von Fotos, die wir so Jahr für Jahr knipsen, für die Überwachung aller Erlaubnisse und deren möglicher und/oder versehentlicher Zuwiderhandlungen hunderte Behörden und tausende an Kontrolleuren bräuchte? Wer soll das denn alles bezahlen?“
„Kompliment! Auch das haben Sie richtig erkannt! Das nennt man aktive Arbeitsplatzpolitik. Wollen Sie nicht nach Brüssel gehen? Als Gesetzgeber?“
„Ach so geht das. Ein Beispiel dafür sind die Inseln, die Sie jetzt bei einem Kaffeeröster kaufen können. Mit Traumstrand und Palmen, ab 60.000 Euro, nur etwas abgelegen. Alexander Tsipras wollte da gleich ein paar von den griechischen Inseln mit losschlagen, um seine Schulden abzubauen. Soll aber praktisch nicht möglich sein, weil wenigstens sieben griechische Behörden nacheinander ihre Genehmigung dazu erteilen müssten, aber der zuständige Sachbearbeiter in der Mittagspause, in Besprechung, in Fortbildung, in Urlaub, krank oder versetzt ist.“
„Sie sollten in Brüssel die Urlaubsvertretung von Herrn Tsipras übernehmen! Er hat Ihnen doch erfolgreich vorgemacht, wie man den Mächtigen in Brüssel einen um den anderen Monat vormacht, dass diese Behörden nicht aufgelöst werden könnten, denn das sei würdelos für deren Beamte.“
„Ja toll, wie Herr Tsipras im Fachgebiet der finanziellen Panoramafreiheit der Griechen als angebliche Urheber der Demokratie uns darüber aufgeklärt hat, wie erfolgreich das europäische Prinzip ist: Herr Schäuble und Frau Merkel und damit also der Steuerzahler und damit also letzten Endes Sie und ich bezahlen das alles. Haben Sie Dank für die wirklich klare Beantwortung meiner Frage von vorhin.“
„Gerne geschehen! Und jetzt erläutere ich Ihnen, warum die Aufhebung der Panoramafreiheit für Fotografien nach meiner Überzeugung eine absolut zielführende und schon längst überfällige Maßnahme für die neuerliche Bestätigung der kulturell und wirtschaftlich führenden Rolle des Abendlandes und ihrer Wirtschaft, wie z. B. der Bauwirtschaft ist. Ich werde Ihnen erklären, weshalb es – wieder mal – einer der genialen Schachzüge unserer klug vorausschauenden Staatenlenker in der europäischsten aller europäischen Städte, in Brüssel ist.“
„Ich bin neugierig.“
„Schon in der ersten Phase schafft man in Europa sehr zahlreiche Arbeitsplätze für die Überwachung des Fotografierverbotes: vor Ort auf allen Straßen und Wegen, in den Internetforen, den Verlagen, den Druckereien, den Werbeateliers u. s. w. Dadurch haben die Politiker in Brüssel nachhaltig das Problem mit den Migranten aus Afrika gelöst. Sie werden so dringend benötigt, dass sie nicht mehr unter Lebensgefahr in schwankenden Schlauchbooten aus chinesischer Herstellung ihren gefährlichen Weg nach Europa zurücklegen müssen. Nein, die Bundesregierung wird bei der Meyers Werft in Papenburg ein Migranten-Transfer-Traumschiff auf Kiel legen lassen, größer und schöner als jedes Kreuzfahrtschiff zuvor…
„Wirklich toll, was die in Brüssel so hinkriegen!“
„Und es wird weiter gehen. Derzeit haben sie die Stufe eins, die Einführungsphase, in Arbeit. Es geht erst einmal nur um so genannte gewerbliche Aufnahmen. Auch für die Inhaber eines Urheberrechtes gelten noch etliche Einschränkungen.
Ein augenfälliges Beispiel ist die geniale Gestaltung der Fassade eines modernen mehrgeschossigen Gebäudes von Ihren Panoramafotografien. Nach der derzeitigen Konvention oder Architekturmode – auch als sog. „gutes Design“ bezeichnet – ist das Gebäude ein großer quaderförmigen Block.“
„Ja, die sind oft als Hintergrund auf meinen Bildern. In der Hochsprache der Architekten werden sie „Monolithen“ genannt. Das gemeine Volk hingegen spricht von einem "Klotz". Manchmal auch von einem „Hochbunker“.
„Bleiben wir beim Urheberrecht: Bei der Gestaltung der Seitenflächen eines solchen Klotzes, pardon Monolithen, ist es der schöpferische Beitrag des bauschaffenden Künstlers, für jedes Geschoss rechteckige Fenster von gleicher Höhe einzuzeichnen. Aber – aufgepasst – die Fensterbreiten und der Abstand zueinander wechseln. Die Fensterreihen benachbarter Geschosse unterscheiden sich voneinander. In großen Architekturbüros sollen diese Breiten und Abstände von einem computergestützten Algorithmus automatisch ausgewürfelt werden.“
„Ja, ähnliches habe auch ich in den Ruhmesblättern der Gilden gelesen. Diese Bau-Werke werden als überaus "klar gestaltet" gepriesen. Darf ich in dem Zusammenhang mahnend darauf hinweisen, wie viele Laien derartige gestalterische Höhepunkte nicht als solche zu erkennen vermögen. Stattdessen lassen sie sich zu Verbalinjurien hinreißen, wie zum Beispiel: "Dem Aaahschitäktn is ja ooch wieda nüscht einjefalln!“.
„Aber das muss ja nicht so bleiben. Einer Dame oder einem Herrn dieser kreativen Zunft könnte es in einer schöpferischen Sekunde gelungen sein, eine Fensterreihe von ausschließlich hochkant stehenden Rechtecken auf abwechselnd hochkant und horizontal ausgerichtete Fensteröffnungen umzustellen. Welch ein Unterschied zu der grässlichen Tristesse des benachbarten Blocks, der vom unfähigen Marktbegleiter, dem Büro Mustermann, gestaltet worden ist! Jeder, dem künftig die Gnade zuteil wird, diese schöpferische Leistung betrachten zu dürfen, wird sofort in einen Begeisterungstaumel verfallen, die höchste Euphorie ausstrahlen und in schwelgerischen Jubel ausbrechen.“
„Jubeln Sie jetzt so, weil Sie grade die Fassade der neuen Stadthalle in Lohr mit ihrem fantastischen Ensemble von verschiedenen, rechteckigen Fensteröffnungen vor Augen haben?“
„Daran haben SIE jetzt gedacht. Nach der RECHTSPRECHUNGkönnten zwischen die RECHTecke auch ganz locker ein paar Bullaugen oder Herzchen gemischt sein. Es liegt hier nämlich ein Baukunstwerk vor, das aus der Masse des alltäglichen Bauschaffens herausragt und das Ergebnis einer persönlichen geistigen Schöpfung ist oder sich vom durchschnittlichen Architektenschaffen abhebt.2“
„Aber muss das Kunstwerk denn nicht wenigstens irgend einen ästhetischen Gehalt haben?“
„Nota bene: Bisher wurde noch kein Urheberrecht abgelehnt, weil das Bauwerk zu hässlich war.3 Deshalb müssen auch Sie mir darin zustimmen, dass dem begnadeten Schöpfer dieser künstlerischen Großtat zweifelsfrei ein Urheberrecht gebührt.“
„Wenn Sie das so sagen, wird es wohl so üblich sein.“
„Dann muss es auch für Sie glasklar geworden sein, dass die Pflicht des erhabenen Künstlers, die Ansprüche aus seinem Urheberrecht SELBST geltend machen zu müssen, eine dramatische Einschränkung ist, die man ihm kaum zumuten kann. Denn andernfalls – haben Sie’s gemerkt – würden wir ja das ungeheure Risiko eingehen müssen, dass die künstlerisch dumpf dahin dämmernde Allgemeinheit auf unserem blauen Planeten womöglich die Chance auf weitere solche genialen Sekunden vergibt, nur weil die begnadeten Führer des Zeichenstiftes und Meister des guten Geschmacks am Bau ihre kostbare Schaffenszeit mit dem Verfassen von beschreibenden Texten und den Beauftragungen für Rechtsanwälte ihrer Urheberrechte vergeuden müssen. Dieses bedauernswerte Schicksal der armen Urheberrechtsinhaber können wir nicht länger hinnehmen, das muss geändert werden! Sofort!“
„Schreien Sie bitte nicht so, ich bin doch nicht taub. Hört man das in Brüssel denn jetzt auch schon so?“
„Leider noch nicht. Deshalb ergeht hier der flammende Aufruf an unsere wackeren Gesetzesgeber in Brüssel: Mögt ihr in Eurem verantwortungsvollen und segensreichen Tun der umfangreichsten Gesetzgebung aller Zeiten auch noch so überlastet sein, so verzagt nicht an eurem schweren Werk, sondern schreitet weiter auf dem hier nun endlich eingeschlagenen Pfad der höchsten Tugend! Lasst alsbald die Phase Zwo folgen!“
„Was sollte Ihrer Meinung nach in der Phase Zwo ablaufen?“
„In der Phase zwei hat ein jeder Nutzer eines Gebäudes, sei er nun Eigentümer, Mieter, Besucher oder Besatzer eines Gebäudes die vornehme Pflicht, dafür zu sorgen, dass an der Außenseite, eben der Panoramafront, der aktuelle Inhaber des Urheberrechtes, mit seiner gültigen Urheberrechtsnummer, einem aktuellen Porträt, einer Liste seiner Werke sowie seiner Schuhgröße auf einem einwandfrei lesbaren Schild genannt wird. Unter dieser Urheberrechtsnummer ist er in einer umgehend einzurichtenden, staatlichen Stelle mit sämtlichen Daten eingetragen. Das Verkehrszentralregister in Flensburg ist ja ein wohlbekanntes Beispiel für die Effizienz und die Einträglichkeit solcher Dateien. Besonders zu beachten ist dabei auch die Nennung der Schuhgröße, weil diese nicht nur ein mitreißendes Beispiel für die Transparenz der Strukturen unserer Administration ist, sondern auch, weil sie einem jeden bei der Identifikation des Urheberrechtsinhabers überaus dienlich ist.
Die jeweilige Person oder Personin muss lediglich einen ihrer beiden Schuhe ausziehen, an welchem dann mit Leichtigkeit und einem sog. Zollstock die Schuhgröße ermittelt werden kann. Ist das nicht ist eine wirklich wesentliche Erleichterung?“
„Entschuldigen Sie bitte, wenn ich Sie jetzt kurz unterbreche: Haben Sie gerade auf Kika, den Kinderkanal, umgeschaltet oder berichten Sie von Alexander Tsipras’ Umstrukturierungen der Behörden auf den griechischen Trauminseln?“
„Ach Sie Kleingeist, Sie. Und ich hatte gedacht, dass Sie in Brüssel Karriere machen wollen. Nein, so wird das aber nichts. Denken Sie doch mal in großem Maßstab, denken Sie uns nach vorne, think big!“
„Jawoll, Chef. Ich denke und ich höre.“
„Was wir brauchen, ist ein absolut sabotagesicherer Chip, mit dem die vorgenannten Daten über das Urheberrecht und dessen Inhaber elektronisch auf die Kamera des jeweils Fotografierenden übertragen werden.“
„Aha, also auch in mein neues Wei-Sunk-iah 4 Punkt 2 Exekutive mit der benutzerfreundlichen Breitwand-Panoramafunktion ?“.
„Ihr neues Wei-was? Sie sollten doch besser nicht nach Brüssel, sondern in den Vertrieb oder als Pastor gehen. Aber denken Sie bitte wenigstens ein letztes Mal noch richtig groß: Denken Sie mal an diesen großen Internet-Dienstleister und an seinen visionären Chef. Wie heißt er doch gleich? Es ist nicht Tim Meir, auch nicht John Muller oder Charles Shultz. Nun sagen Sie doch mal schnell!“
„Ach ja, der. Ich komm’ auch grad’ nicht drauf. Aber ich weiß, wen Sie meinen.“
„Ja genau den. Und jetzt stellen Sie sich bitte vor, dass diese große Firma, der wahre Motor jeglichen zivilisatorischen Fortschrittes auf unserem Globus, den Regierenden dieser Welt folgendes vorstellt: Eine jegliche fotografische Maschine, die über das Betriebssystem Waldoid 27.4.55.13 mit den Servicepacks 1 bis 3c verfügt, kann an diesen Chip auch alle wesentlichen Daten der fotografierenden Person oder Personin zurück senden.“
„Wie schade! So eine hohe Version hat mein Wei-Sunk-iah 4 Punkt 2 Exekutive leider nicht.“
„Natürlich nicht. Noch nicht, denn wir denken uns ja gerade in die Zukunft, eine goldene Zukunft“
„Wieso wird die vergoldet?“
„Wie schon bisher auf seinen Internet-Seiten zu lesen, so wird auch zukünftig der große Internetz-Dienstleister mit seinem Ährenwort beteuern, dass die so gesammelten Daten natürlich NUR dafür verwendet werden würden, den Inhabern des Urheberrechts einen schnellen Überblick über ihre am meisten fotografierten Werke zu verschaffen. Auf diese Weise werden z. B. die Plastikverarbeiter zu noch anmutigeren Mülltonnen, die Rohrbieger zu noch eleganteren Straßenlaternen und die Architekten zu noch „klarer gegliederten“ Fassaden kommen. Ist das nicht für uns alle ein unschätzbar wertvoller Gewinn an Lebensqualität?“
„Und was würde dann passieren?“
„In der nächsten Phase – der Phase Drei – wird der bisherige, kleinmütige Unterschied zwischen der gewerblichen und der privaten Nutzung aufgehoben. Ist denn nicht auch für Sie das HEIMATLICHE Betrachten eines Fotos des berühmten Gebäudes von Mustermanns Nachbarbüro mit den alternierend hochkant und horizontal ausgerichteten Fenstern ein erhebendes Glücksgefühl, das zu den wunderbaren und gefühlsbeladenen Momenten ihres ansonsten grauen Daseins zählt? Würde ein solcher Schub von Glückshormonen nicht auch Ihre Leistungsfähigkeit in ihrem gewerblichen Tun und Treiben steigern? Müsste man Ihnen nicht in weit größerem Umfang als bisher solche fantastischen Perspektiven verschaffen? Kurz gesagt, die Aufhebung der Panoramafreiheit würde in dieser Phase ganz einfach für jede Photografie gelten.“
„Hallo? Glückshormone? Sind sie jetzt wieder bei den Filmaufnahmen für den Kinderkanal oder beim Richtfest der Stadthalle in Lohr?“
„Weder noch. Die Stadthalle in Lohr ist ja schließlich nicht vom Büro Mustermann gezeichnet worden. Nein, ich bin bei der glückbringenden Zukunft, die uns selber Glückshormone produzieren lässt. “
„Aha. Und dann?“
„Dann kommt die Phase Vier mit einer wahrhaft staatstragenden Initiative: Die Branntweinsteuer, die Kfz-Steuer, div. Vergnügungssteuern wie z. B. die Prostitutionssteuer und viele andere, ähnliche Steuerarten haben ja in allen vergangenen Jahrtausenden und in allen staatlichen Strukturen von Ramses über Caesar bis Tsipras ganz offensichtlich dafür gesorgt, dass Qualität und Volumen der betreffenden Sachbereiche erfreulich angestiegen sind. Heutzutage wird mehr denn je fröhlich gebechert, unter der Bezeichnung SUV werden die Benzinkutschen rechtschaffener Bürger immer höher, breiter und gewichtiger und die…, na, Sie wissen schon, was ich meine.“
„Nein, das will ich jetzt gar nicht wissen!“
„Seien Sie doch nicht so prüde. Jedenfalls wird in der Phase VIER die prosperante Erfahrung mit der deutschen Fernsehsteuer – äh, pardon, ich meine natürlich mit dem geräteunabhängigen sog. Rundfunkbeitrag – mit in das segensreiche Modell der BEFREIUNG von der Panoramafreiheit integriert.!“
„Deshalb muss nun endlich ein PanoramaBEITRAG her! Ganz einfach: Für jedes geschossene Bild zahlt der glückliche Fotograf umgehend ein paar wenige Euronen an seinen fürsorglichen Staat. Wie zuvor klar bewiesen, wird daraufhin der zuvorkommende und um das Wohl eines jeden Individuums besorgte Staat es schon irgendwie hinkriegen, dass die Panoramen dieser Welt verbessert und verschönert werden. Weil dann alles so schön sein wird, hat jeder Bürger nicht nur eine Versicherungspflicht, sondern auch eine Fotopflicht und einen persönlichen Panorama-Account.“
„Was, bitteschön, wird dann zukünftig als Verbesserung und als Verschönerung gelten?“
„Seien Sie doch nicht so neugierig! Habe ich Ihnen nicht von dem visionären Chef der altruistischen Internet-Firma erzählt, laut deren Satzung das Geldverdienen – ganz großes Ährenwort – leider doch nicht so ganz vermeidbar ist? Wenn es so weit ist, werden sicherlich einige Hundertschaften seiner rührigen und fantasievollen Mitarbeiter etliche Algorithmen entwickelt und perfektioniert haben, die die Fragen nach der Schönheit und der Eleganz mit einer beeindruckenden, statistischen Relevanz beantworten werden! Und das Ergebnis wird er uns dann schon wissen lassen.“
„Diese frohe Botschaft ist natürlich eine ungemein beruhigende Information. Ich muss mir also keine Sorgen darüber machen, was dann schließlich „entartete“ Kunst werden wird und was nicht?“
„Nein! Die Zeiten, wo die Elite die Kunst erst als „entartet“ erklären musste, um sie dann auf eigene Rechnung zu verkaufen, die sind doch glücklich vorbei. Das ist endgültig überwunden.“
„Und wie soll das zukünftig laufen?“
„Das wird ganz einfach mit dem Panoramabeitrag organisiert. In der Phase Vier Beta wird unsere große „Panorama-Mutter“ den Panoramabeitrag nicht nur als schnöden und in sich irgendwie unkünstlerischen Mammon einziehen, sondern geht zurück zur Natur. Endlich kann man wieder in Naturalien zahlen; also durch eine Fotografie, die einfach und natürlich vom jeweiligen Zahlungspflichtigen selbst aufgenommen wird. Der hohe erzieherische Effekt ist, dass eine breite Masse bisher künstlerisch uninteressierter Menschen zum Betrachten von Baukunst, von der Kunst der Straßenlaternen, der Kunst des schwungvollen Kühlergrills am neuen SUV, der Kunst der Mülltonnen, der Kunst der Getränkeverpackungen und der Kochkunst der leckersten Fertiggerichte motiviert werden wird. Die positive erzieherische Wirkung wird dadurch verstärkt, dass dank der elektronischen Weitergabe dieser Fotografien von geeigneter Stelle überprüfbar ist, welche Objekte der Kunst sich der einzelne tatsächlich anschaut. So wie in der Schule die Schulnoten die Aufnahme des "richtigen" Lerninhaltes steuern, so kann auch in der Phase Vier Beta die Aufnahme des künstlerisch richtig wertvollen Objektes beeinflusst werden.“
„Verwechseln sie hier nicht grade „Kunst“ mit „Kaufen“?
„Aber nicht doch. Im Gegenteil, zukünftig wird es ja die guten Algorithmen geben, die in benutzerfreundlich hoher Geschwindigkeit die Schönheit und die Eleganz eines jeden aufgenommenen Kunstobjektes identifizieren und markieren können. In einem unabhängigen und frei urteilenden Gremium sitzen auch Vertreter der Laternenbauer, der Autohersteller und der Getränkeindustrie. Abhängig von deren Beurteilung wird der Algorithmus programmiert, der dann festsetzt, wie viel Cent für das jeweils eingereichte Foto als Gutschrift von der allmonatlichen Panoramaabgabe abgezogen werden.“
„Da kann der einzelne Bürger allerdings kaum mehr etwas verwechseln oder nach seinen eigenen Wünschen auswechseln.“
„Genau. Und weil das so eine berauschende Perspektive des Outsourcings von bisher staatlichen Funktionen ist, werden sich die guten Leute von der Internet-Firma als Gastgeber des nächsten G8-Gipfels qualifizieren. Ja, Sie hören richtig, nicht mehr G7 wie noch im Schloss Elmau 2015, sondern nunmehr wieder acht. Wladimir Putin wird bis dahin die Chefs der Internet-Firma davon überzeugt haben, dass die Gestaltung der Atomsprengköpfe seiner zukünftigen Langstreckenraketen in Form der goldenen Kuppeln der Basilius-Kathedrale am Roten Platz eine bahnbrechende künstlerische Leistung und ein wesentlicher Beitrag zum Weltfrieden ist. Daraufhin werden sie ihn sofort wieder einladen.“
„Die Internet-Leute sollen also den G8-Gipfel organisieren. Wird das bei einer privatwirtschaftlichen Firma nicht viel zu teuer?“
„Im Gegenteil. Die sind Experten für Sicherheit. Jeden Tag merken Sie doch selbst an ihrem Computer, wie sorgfältig die dafür sorgen, dass ihre Daten mit Sicherheit nur in die „richtigen“ Hände gelangen. Da liegt es nur nahe, dass sie auch die Sicherheit der VIPs beim G8-Gipfel organisieren. Wäre es nicht eine oberschlaue Idee, die VIPs in absolut unauffälligen Containern mit der Aufschrift „SIEH-LAND“ zu transportieren“
„Soll diese Aufschrift die hochpolitischen Container-Reisenden anspornen, ihre schwammigen Ansichten während der Reise mal soweit zu konkretisieren, dass der Normal-Bürger wieder politisches „Land“ sieht?“
„Sehr witziger Beitrag! Aber zurück zur zukünftigen Gipfel-Praxis: Durch einen computergesteuerten Zufallsalgorithmus würden die VIP-Container an irgendeiner nicht vorhersehbaren Position eines Güterzuges eingekuppelt werden. Selbst dem Sicherheitspersonal sollte diese Information nicht bekannt gegeben werden. Als Sonderausstattung würde eine von innen zu öffnende Tür in die Container eingebaut werden. Durch den Türspalt hindurch könnten die VIPs dann ihre tägliche Panorama-Pflicht-Fotografie leisten.“
„Ach, wären die hohen Herrschaften dann nicht von so niederen bürgerlichen Pflichten befreit?“
„Aber doch nicht in unseren westlichen Demagogien, ich korrigiere: Demokratien. Entsprechende Dienstleister wären ja denkbar. Möchten Sie vielleicht später mal als „Pflicht-Fotograf für Besser-Verdienende“ arbeiten? “
„Auf welchen Einsatzort darf ich mich dann für den nächsten G8-Gipfel vorbereiten?“
„Ein kostensparender und sicherheitstechnisch optimaler Tagungsort wäre ein Containerterminal. Könnte z. B. in Aschaffenburg sein.“
„Ob es das Schloss in Ascheberch in die Liste der steuersparenden Top-Bilder schaffen wird?“
„Ich wäre da schwer optimistisch! Soll ich mit Ihnen wetten, dass François Hollande in seinem Container seinen Motorroller mitnehmen wird? Ob es ihm schon bei einem Zwischenhalt des Gipfel-Güterzuges in Partenstein gelingen wird, seinem Container und seinem Sicherheitspersonal zu entkommen? Dann könnte er mit seiner Freundin ein Selfie mit dem Schloss im Hintergrund aufnehmen. Seinem Panorama-Account beim Finanzamt Paris-Süd wird das jedenfalls sicher seehr gut tun!“
„Nehmen Sie schon Reservierungen für Wunschnummern der Panorama-Steuer-Konten entgegen? Weil viele Häuser auf meinen Fotos irgendwie gewöhnlich aussehen, möchte ich gerne die Nummer 08-15 haben.“
„Ich probiers mal in Hongkong. Übrigens, der große Vorsitzende Meir-Muller-Shultz-Sie-wissen-schon hatte eigentlich einen G9-Gipfel organisieren wollen. Dazu hatte er bei Herrn Li Keqiang in Peking angerufen. Aber grade, als er die vielen neuen Arbeitsplätze zur Überwachung des Panoramaverbotes erklärt hatte, ist die Telefonleitung durch ein so intensives Störgeräusch unterbrochen worden, dass eine weitere Verständigung unmöglich geworden war. Das Gespräch hat abgebrochen werden müssen. Das Wartungspersonal hat die Störgeräusche beschrieben als etwa: „Chra chra chrahaha u. s. w.“ Später konnte dann in enger Zusammenarbeit mit dem internen Nachrichtendienst der KP Chinas ermittelt werden, dass es sich gar nicht um ein Störgeräusch gehandelt hatte. Vielmehr war das herzliche und intensive Gelächter von Herrn Li Keqiang vollkommen echt.“
„Ja das glaube ich gerne. Kontrollettis nach China ist ja wie Eulen nach Athen. Entschuldigen Sie, grade kommt ein Geräusch, ein Klingelgeräusch von meinem Fotoapparat, dem geliebten Schmacht-Fohn. Darf ich da kurz mal ’ran gehen, ginge das? Bitte bleiben Sie am Apparat, ich bin gleich wieder für Sie da.
Ja, da bin ich wieder. Also, es war doch nur der Wecker. Hallo? Hallo, sind Sie noch dran? Jetzt hat er doch einfach aufgelegt!“
Oder war das alles eben nur ein Alptraum aus Absurdistan? Gut, dass er jetzt erst einmal vorbei ist.4 Es hat heute schönes Wetter. Ich werde am Nachmittag mal nach draußen gehen und ein paar Panorama-Fotos schießen. Nur die Bilder von der Baustelle der Stadthalle in Lohr werde ich dem Stadtmarketing trotzdem nicht zum Kauf anbieten. Warum? Da sind ganz viele Metallgestelle zu sehen. Woher soll ich denn wissen, ob das tatsächlich nur die üblichen Baugerüste und Absperrgitter sind oder vielleicht doch ein „NICHT BLEIBENDES KUNSTWERK“ darunter ist. Für nur vorübergehend öffentlich aufgestellte Kunst gab es nämlich nie eine Panoramafreiheit. Seien Sie doch mal ehrlich, lieber Leser: „Ist es Ihnen bisher gelungen, wirklich jedes moderne Kunstwerk sofort als ein solches zu erkennen?“
Detlev Stupperich 15.7.2015