Lassen sie uns eine Zeitreise machen, so etwa 300 Jahre zurück. Wir kommen in ein kleines Fürstentum irgendwo in einer vergessenen Ecke unseres Landes. Der erhabene Fürst – Sigobald VII., genannt der Prächtige – lädt in seine kleine, aber feine Residenz ein. Schließlich ist heute Geburtstag, sein Geburtstag. Es ist zwar kein runder, aber immerhin sein 84ster.
Auf Schloss Hormansborg wird der Hof an drei Seiten von wohlproportionierten barocken Bauten umrahmt. Fackeln beleuchten die Auffahrt und in alle Fenster haben eilfertige Bedienstete Kerzen gestellt, damit es auch recht prächtig aussehen möge, wenn die Ehrengäste zum Geburtstagsempfang vorfahren.

Durchlaucht sorgt sich wegen vorgeschrittenem Alter nicht mehr über jede Einzelheit. Deshalb steht ihm sein Kammerdiener Gero von Tirslau stets mit hilfreichen Hinweisen zur Seite.

Ihre hochfürstliche Durchlaucht Sigobald nimmt eine Fackel in die Hand, erhebt sie und eröffnet schwungvoll das Fest mit den Worten: "Liebe Gäste, auf vielen Festen und äh …"
Weil er stockt, flüstert ihm Gero zu: "und Bällen!" – "Häh?", fragt Sigobald irritiert zurück. Gero bestätigt: "und Bällen!" - "Aha. Wau, Wauwau!", bellt Sigobald und die Gästeschar sucht Ihr Schmunzeln zu unterdrücken und applaudiert artig.

Dann folgt die einzelne Begrüßung der Ehrengäste im Schein der Kerzen. Sigobald spricht als warmherziger Landesvater jeden mit persönlichen Worten in der Sprache seines Volkes an. In der Reihe kommt er an den Bischof des Fürstentums, seine Exzellenz Waldemar von und zu Warsamsee. Ebenso wohl proportioniert, wie die hormansborgischen Barockflügel: "Guten Abend lieber Waldemar, schön dass er heute wieder dabei ist. Wie geht's denn so? Was macht die ehrenwerte Frau Gemahlin? Wie steht es mit den lieben kleinen Kinderchen?" Alles errötet. Gero raunt entsetzt seinem Herrn zu: "Durchlaucht, wir haben doch das Zölibat!" Sigobald reagiert prompt:" Na, Bischöfchen, nu’ erzähl er mal, kann denn unser süßes liebes kleines Zölibatchen schon a bisserl laufen?"

Tosender Beifall, der Bann ist gebrochen und das Fest nimmt einen rauschenden Verlauf.

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Diese Geschichte erzähle ich in ehrendem Angedenken an meinen Patenonkel Friedrich Wilhelm von Bodelschwingh, der solchen Spott gerne am späteren Abend zum Besten brachte. Der Weltkrieg No.2 hat nicht nur Bodelschwinghs Gesundheit, sondern auch seinen Respekt vor überkommenen Hierarchien und Institutionen nachhaltig beschädigt. Als Wehrdienstleistender hatte er 1939 am Polenfeldzug teilzunehmen. Unter Artilleriefeuer im Wald war ein schwerer Ast auf ihn gestürzt. Fortan war er rollstuhlpflichtig. 1945 befragte ihn wie alle anderen Offiziere auch routinemäßig die Entnazifizierungskomission der Alliierten nach „Auslandsaufenthalten“ in der Kriegszeit. Auf die Frage: „Zu welchem Zweck waren sie in Polen?“ soll Bodelschwingh geantwortet haben: „Mord und Totschlag.“ Wenn er nicht „sowieso schon“ im Rollstuhl gesessen hätte, wäre der folgende Ärger noch viel größer gewesen.

Bodelschwingh setzte sich nach dem Krieg über Jahrzehnte intensiv für die Integration von Vertriebenen aus dem Osten in die damalige Bundesrepublik Deutschland ein. Neben sehr vielen anderen auch für meinen Vater.

Detlev Stupperich 14.12.2016