Frankfurt, 3. September 2017: 65.000 Menschen müssen die Innenstadt räumen, darunter die Patienten aus zwei Krankenhäusern und 20 Altersheimen. Der Fund eines „Blockbusters“, einer Luftmine vom Typ HC 4000 bedroht sie mit 1,4 Tonnen Sprengstoff. Aber alle überleben unversehrt, denn die Bombe kann erfolgreich entschärft werden.1

Frankfurt, 22. März 1944, 120.000 Menschen werden obdachlos und mehr als tausend Menschen sterben.2 816 Flugzeuge haben 500 Luftminen, 3.000 schwere Sprengbomben und 1,2 Millionen Brandbomben auf den Stadtkern abgeworfen.3 Neben tausenden anderer Bauwerke geht am „Großen Hirschgraben“ Johann Wolfgang von Goethes Geburtshaus in Flammen auf.

Frankfurt, 1949–2017: Goethes Geburtshaus wird 1949–1951 wieder aufgebaut.4 An die Stelle ebenfalls niedergebrannter Nachbarhäuser werden charakterarme Zweckbauten gesetzt, die 2016 wieder niedergelegt werden. Dort wächst der Neubau des „Romantikmuseums“, mit einer ebenfalls unromantischen, glatten Fassade und neutralen, rechteckigen Fenstern, die immerhin ungleichmäßig auf der Außenwand verteilt sind.

Frankfurt, gerade jetzt: über 736 000 Menschen 5 und allnächtlich rund 25.000 Gäste6 haben ein Obdach, keinem droht mit nennenswerter Wahrscheinlichkeit der Tod durch eine Bombe. Fast alle sind zur Tagesordnung übergegangen und wähnen sich von den täglichen Bomben im Jemen, in Syrien, Afghanistan, Mexiko, Nigeria und etlichen anderen Ländern mit jeweils weit mehr als 1.000 Toten pro Jahr um eine gefühlte Unendlichkeit entfernt.7

Wer hat eine Vorstellung von heulenden Sirenen, von dumpfen Kellern mit flackerndem Notlicht, von näher kommenden Einschlägen, vom Wimmern der Verzweifelten, vom Rennen ums nackte Überleben, zwischen Flammenwänden und herabstürzenden, glühenden Balkenresten hindurch, vorbei an verkohlten Leichen, vorbei an vor Schmerzen laut brüllenden Brandopfern, denen niemand mehr helfen kann? Frankfurter, Frankfurtbesucher, habt Ihr diese Bilder erfolgreich verdrängt?

Aber das neue Romantikmuseum will an diese grauenvollen Schrecken gleich nach dem Eintreten deutlich erinnern. Der Fußboden der Eingangshalle soll nämlich die alten beigefarbenen und rotbraunen Steine der zerstörten Vorkrieghäuser zeigen, deren Bausteine in der Nachkriegszeit weiterverwendet wurden und die jetzt zum zweiten Mal ihren Abriss erlebt haben. Ein Teil des Fußbodens wird aus grauen Steinen mit bunten Einsprengseln bestehen, die aus den Kriegstrümmern gepresst worden sind und nun ebenfalls sichtbar im neuen Romantikmuseum verbaut werden.8

Die unangenehmen Bilder sind also artig berücksichtigt. Was will man mehr?

Ein so schreckliches Grauen nur mit ein paar alten Steinen darstellen zu wollen, ist ein klägliches Feigenblatt als Erledigung einer unwillkommenen Pflichtübung!

Nein! Zeigt die brutale Gewalt der Flammenwände direkt, in voller Größe und so naturnah wie nur irgend möglich. Keine zarten und schüchternen Andeutungen, die der unvorbereitete Besucher nur mit Hilfe einer Texttafel verstehen kann.

Von den drei Fassadenbereichen des neuen Romantikmuseums sollte einer die Fachwerkkonstruktion des dort ehemals stehenden Vorkriegshauses zeigen, und zwar mit hell bis zur Spitze auflodernden Flammen und einigen bereits angekohlten Balken.

Dann wird auch ein völlig unvorbereiteter Besucher am Fachwerk sofort erkennen, dass es um Historisches geht. Die Flammen erklären sich selbst und die Bomben sind ein klarer Hinweis auf militärisches Zerstörungswerkzeug. Als textlicher Hinweis reicht das Datum: 22. März 1944.

Erst wenn das Bild des Infernos dauerhaft auf die Fassade aufgebracht wird, ist es ein kraftvolles und ausdrucksstarkes Denkmal. Wenn es wenigstens als bedruckter Vorhang aufgehängt würde, so wäre es immerhin eine Erinnerung.

 

Detlev Stupperich, Partenstein und Bad Nauheim, 10.9.2017

 

  1. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 3.Sept 2017, S1.,Frankfurter Bombe: Heute wird's ernst. isk/iff.
  2. A.C. Grayling: Die toten Städte: Waren die alliierten Bombenangriffe Kriegsverbrechen? S. 374. München 2009.
  3. https://de.wikipedia.org/wiki/Luftangriffe_auf_Frankfurt_am_Main#Mittwoch.
    2C_22._M.C3.A4rz_1944, Stand 6.9.2017)
  4. www.goethehaus-frankfurt.de
  5. Bürgeramt der Stadt Frankfurt, Zeil 3, 60313 Frankfurt auf www.frankfurt.de, Stichtag 30.Juni 2017
  6. https://www.frankfurt-tourismus.de/Presse/Publikationen/Statistiken:
    Im ersten Halbjahr 2017 beherbergte Frankfurt 4.569.422 Gäste. Die Übernachtungen verteilen sich auf 182,5 Tage. Im Mittel sind also pro Nacht 25.038 Menschen als Gäste in Frankfurt.
  7. https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_andauernden_Kriege_und_Konflikte
  8. FAZ, 30.1.2017. Florian Balke, Auf dem Weg vom Entwurf zum Gebäude