Eine "Riesen-Sicherheitslücke" in allen wichtigen CPU's erschüttert derzeit die Computernutzer dieser Welt - denn ihre sämtlichen Daten scheinen schlagartig allen Bösewichtern des Planeten wie auf einem silbernen Tablett restlos offengelegt. Doch dabei ignorieren die User, dass es für den Schutz der Informationen über sie selbst ein noch viel größeres Problem gibt, nämlich den großen, den mächtigen, den omnipräsenten, den scheinbar unverwundbaren König Wozzap.

KÖNIGE? In längst vergangenen Zeiten herrschten die gnädig und mit Weitsicht in ihren Ländern, hielten das Diebesgesindel in Schach und griffen selbst nur maßvoll in den Geldbeutel ihrer Untertanen, so dass alle in Freiheit und Freuden lebten. So oder ähnlich berichten die Gebrüder Grimm über Könige in ihren Märchen. Aber anno 2017? Die heiligen drei Könige sind Krippenfiguren sowie ein gesetzlicher Feiertag in manchen Ländern. Und es leben noch manche Könige in ihrem Schloss - zumeist in Sorge um die Kosten für Schlossdächer oder ihren nächsten bürgerlichen Seitensprung. Zu gerne nehmen sich die Spürhunde der Yellow Press die Freiheit, davon allen Bürgern auch die intimsten Details bekannt zu machen. Doch diese Könige beherrschen kaum noch Untertanen, sondern höchstens sich selber.

 

Aber selbst die geschicktesten Spürnasen haben das Reich des großen Königs Wozzap noch nicht entdeckt. „Wer ist das? Weder in der „Bunten“ noch bei „Frau im Spiegel“ stand je etwas über sein Schloss und seine Liebschaften“, wird mancher entgegnen. Und wo denn auf der Landkarte sein Königreich sei, werden Sie fragen. „Mit wem treibt der es denn?“, höhnen Sie dann womöglich.

 

„Vielleicht treibt er es just mit Ihnen selbst!“, muss sich ein Spötter dann entgegnen lassen und erstaunt lernen, dass er selbst und die meisten Untertanen dem großen König 40 Milliarden Mal am Tag huldigen und ein Vielfaches an Opfergaben darbringen - mit ihrem so heiß geliebten und kaum je aus den Augen gelassenen Smartphone.

 

„Die paar Texte, Fotos und Videos sollen eine GABE sein? Die sind doch sogar umsonst und alle werden nach der Übertragung gleich wieder gelöscht! Und außerdem habe ich nichts zu verbergen, ich bin ein anständiger Mensch und so wichtig bin ich gar nicht“, befinden die meisten Untertanen. Ungeniert teilen sie ihr Leben, ungefragt, unbesorgt.

 

So wie eine Spende nicht als unanständiger Diebstahl gebrandmarkt wird, kann man freiwillig gegebener Daten nicht beraubt werden. Gehört demnach das berühmte Werk „Die Räuber“ Friedrich von Schillers nicht auf die Bühnen unserer Welt, sondern auf den Index des „Unanständigen“?

 

Schillers Landesvater und Arbeitgeber, Herzog Carl Eugen von Württemberg, sicher einer der Vorbilder Wozzaps, war über „Die Räuber“ derart erbost, dass er Schiller wegen dieser „paar Texte“ unter Androhung von Festungshaft „solches Komödienschreiben“ untersagte und – welche Gemeinheit – ihm für ein Jahr totales Handyverbot erteilte. Später ließ er Friedrich S. noch auf der Flucht per Spitzel suchen, die ihn zur Ermittlung seines Bewegungsprofils mit Einladungen falscher Freunde zu neuen Wozzap-Gruppen überschütteten.

 

Racheakte von Herzog Carl Eugen und von König Wozzap sind hier nicht etwa durcheinander geraten, sondern dienen nahezu identisch dem Zweck der umfassenden Überwachung. Doch die ganz breite Masse störte und stört sich nicht sonderlich daran. Nur C.G. Körner, der Verleger von Friedrich S. schrieb 1784 über „Kabale und Liebe“, dass „sich die Kunst immer mehr zur feilen Sklavin reicher und mächtiger Wollüstlinge herabwürdigt.“

 

Wer, außer vielleicht dem Kartellamt in Bonn am 19.Dezember 2017, beklagt heutzutage den Missbrauch digitaler Medien? Wer regt sich darüber auf, dass jeder User sogar bis in die tiefsten Weiten des Darknets von Spähern verfolgt wird, die mehr über ihn wissen als er selbst?

 

Nur die königliche Wollust scheint kein Thema mehr zu sein. Carl Eugen soll 77 sogenannte „natürliche Söhne“ anerkannt haben. Die Töchter hat man erst gar nicht mitgezählt. Diesbezüglich ist von König Wozzap alias Mark Zuckerberg bisher nichts bekannt geworden.

 

Nicht so wie von Wozzaps Standesgenossen Franz Joseph Karl (* 12.2.1768, † 2. März 1835) alias Kaiser Franz II./I alias König von Böhmen, Ungarn und Kroatien aus dem Haus Habsburg-Lothringen, der sich fast nur an seine Cousinen herantraute. Zu Wozzap ist bisher keine Bluts- aber eine Wesensverwandtschaft nachgewiesen worden: Franz führte durch seinen Chef-Programmierer Clemens Wenceslaus "Wattislos" Nepomuk Lothar von Metternich (*15.5.1773, †11.6.1859) als sogenanntes „Pressegesetz“ die Zensur für alle Schriften ein, die kürzer als 320 Seiten sind. Nur dicke, teure Bücher galten als ungefährlich.

 

Ebenfalls ab 1819 wurde auf Metternichs Betreiben in Mainz die Datensammelstelle „Zentraluntersuchungskommission“ eingerichtet, das Urmodell aller kommenden Staatssicherheitszentralen und Gestapos. Um „hochverräterische Umtriebe“ zu verhindern, durfte sie anweisen, wo zu durchsuchen und wer zu verhaften ist.

 

Heute sagt König Wozzap, dass „die Preisgabe von Daten im Internet gesellschaftliche Realität sei. Die Menschen würden sich WOHLFÜHLEN, ihre persönlichen Informationen mit vielen Menschen zu teilen.“ (1)

 

Wie König Wozzap gab sich Metternichs „Kommission“ in ungezählten Listen vermeintlicher Verschwörer, Biobauern, Vegetarier, Windradbefürworter, Jutebeutelträger, Datenverweigerer und anderer Konsumterroristen orgiastisch den Wonnen der Staatsparanoia hin. Aber ganz anders als der coole König Wozzap musste die Kommission für diese unablässige Sammelwut von Datenmaterial damals noch selbst tätig werden und himmelhohe Papierberge anhäufen.

 

Begierig auf noch mehr Daten, installierte Metternich parallel zu diesem Kraken ein weiteres System in Mainz, das sogenannte „Informationsbüro“, das europaweit seine streng geheimen Spitzel aussandte und als V-Männer an strategischen Punkten in Mainz, Leipzig, Frankfurt, der Schweiz, Straßburg und Paris postierte. Dort mussten sich die Zuträger ihr eigenes Netz schaffen, wofür sie viel herumreisten. Es waren auch Intellektuelle darunter, Schriftsteller und Journalisten, konvertierte Liberale und zerrissene Charaktere wie Eduard Beurmann, der Frankfurter Agent. Er beschattete den jungdeutschen Schriftsteller Karl Gutzkow, mit dem er zugleich die Oberpostamtszeitung herausgab.

 

Solche „zerrissenen“ Charaktere weiß der gerissene König Wozzap noch heutzutage zu nutzen: Einerseits schreien sie laut und gequält auf, wenn ihre Rufnummer nur im lokalen Telefonbuch abgedruckt werden soll. Andererseits nehmen sie es klaglos hin, dass seine sogenannte AGB Wozzap das Recht gibt, sämtliche Telefonnummern aus jedem Handy seiner Untertanen zu kopieren und aufzulisten, wann und mit wem die Untertanen freiheitliche Gedanken ausgetauscht haben.(2) Nein, hier liegt keine Verwechslung der Könige Franz und Wozzap vor, beide können des gleichen Spiels bezichtigt werden.

 

Wie schon 1784 C.G. Körner, so sollen auch 2017 namhafte Datenschützer „darin bereits seit geraumer Zeit einen Rechtsverstoß sehen.“ Aber erst das entschlossene Kartellamt kritisiert, dass das Online-Netzwerk Facebook seine Marktmacht missbraucht. Es mache die private Nutzung seiner Plattform davon abhängig, jegliche Art von Nutzerdaten aus Drittquellen zu sammeln und mit dem Facebook-Konto zusammenführen zu dürfen, wie Kartellamtschef Andreas Mundt am 19. Dezember 2017 mitteilte. Diese Bedingungen seien zumindest in dem Punkt „nicht angemessen und verstoßen zu Lasten der Nutzer gegen datenschutzrechtliche Wertungen.“ Zu diesen Drittquellen gehören etwa der Messengerdienst Whatsapp oder die Videoplattform Instagram, aber auch Webseiten anderer Betreiber, die auf Facebooks Schnittstellen zugreifen. (3)

 

Wenn wir und die meisten anderen aber so schlau sind, stattdessen einfach miteinander zu reden, wie konnte und kann der große König Wozzap so unermesslich reich werden? Die Antwort will keiner hören: „Mit den Daten der Nutzer“. Und erst recht nicht glauben: „Wenn der Wozzap aus meinen Texten herauslesen könnte, dass ich Max Mustermann heiße und als Service-Techniker mit dem Auto nach Neustadt zur Arbeit fahre, was soll er damit schon anfangen?", fragen Sie.

 

Lieber Max, König Wozzap und seine royalen Konsorten wissen wahrscheinlich sogar mehr über Sie als Sie selbst. Werden Sie für Ihr nächstes Auto einen Kredit bekommen oder gelten Sie überraschend als „nicht zahlungskräftig“? Den großen Zauber dafür nennen die Daten-Alchemisten den "Kreditscore". Dieser Zahlenwert repräsentiert auf Basis einer automatisierten, statistischen Analyse die Kreditwürdigkeit einer Person. Das Scoring verwendet einen Wahrscheinlichkeitswert über ein bestimmtes zukünftiges Verhalten einer natürlichen Person, um ein Vertragsverhältnis mit dieser Person zu begründen, durchzuführen oder zu beenden. Für König Wozzap und seine Knechte blinken und rechnen in Kilometern von Elektroschränken gigantische Computer, die aus den Milliarden von Daten aller Untertanen die Merkmale für Kreditnehmer- wie Wohnort, Wohngegend, Kunde seit, Beruf, Familienstand und viele andere herausfiltern können. (4) Selbst wenn der königliche Vasall Jan Koum, der Gründer des Königreiches Wozzap, das offiziell vehement abstreitet.

 

Der König Wozzap wirbt bei den Kunden seiner Datensätze sogar damit, dass er aus den Texten seiner Vasallen mit 95%-iger Wahrscheinlichkeit herausfiltern könne, ob ihre Bildung, lieber Max Mustermann, doch nur auf Hauptschule, Abitur oder sogar einer Universität basiert.

Nach streng geheimen Regeln werden Algorithmen für die Riesenrechner programmiert, die anhand dieser Merkmale Punkte vergeben, gewichten und zu einzelnen Bonitäts-Noten zusammenfassen. In der großen Hexenküche des Data-Mining werden für die finanzielle, die politische, die gesundheitliche und die charakterliche Einstufung auch logistische Regression, Diskriminanzanalyse und künstliche neuronale Netze verwandt.

 

"Ist König Wozzap etwa die zu künstlicher Intelligenz gewordene Inkarnation des großen Bruders von George Orwells 1984?", werden furchtsame Naturen jetzt fragen. Wirkt der „VEB Guck und Horch“, der berüchtigte Staatsicherheitsdienst, womöglich in Teilen immer noch, obwohl er formal längst aufgelöst zu sein scheint?

"NEIN!", können wir den Zagenden entgegenschleudern. Experten für künstliche Intelligenz haben in diesen Tagen verlautbaren lassen, dass Algorithmen zum Auswerten und Katalogisieren von Texten wohl kaum in absehbarer Zeit irgendeine belastbare Fähigkeit zur Erkennung von SATIRISCHEN Texten erlangen werden. (5) Wenn wir nicht nur den Zustand von 2017 erfassen wollen, Zivilcourage nicht nur auf Beamte in Bonn beschränken wollen, sondern bereit sind, weiter zurückzudenken, dann waren und sind versteckte Satire und Witze in autoritären Systemen schon immer zu einer hohen Blüte gelangt. Ironie wird auch zukünftig im Jahre 2018 eine scharfe Waffe gegen Ausspähung und verbale Zensur bleiben.

 

Detlev Stupperich, 8.Januar 2018

 

Fußnoten:

(1)

https://de.wikipedia.org/wiki/Mark_Zuckerberg

Der Umgang der Menschen mit ihren Daten habe sich stark geändert. Die Menschen würden sich wohl fühlen, ihre persönlichen Informationen mit vielen Menschen zu teilen.[Stefan Winterbauer: Facebook-Gründer Mark Zuckerberg über Soziale Normen. Zuckerberg und das Ende der Privatsphäre. In: Meedia. 11. Januar 2010, abgerufen am 7. Februar 2012]

 

(2)

(https://www.facebook.com/policy.php , 11.Nov.2017

Wir sammeln die Inhalte und sonstigen Informationen, die du bereitstellst, wenn du unsere Dienste nutzt ... Außerdem sammeln wir Informationen darüber, wie du unsere Dienste nutzt, also beispielsweise die Arten von Inhalten, die du dir ansiehst bzw. mit denen du interagierst … Außerdem sammeln wir Kontaktinformationen, die du bereitstellst, wenn du diese Informationen (z. B. ein Adressbuch) von einem Gerät hochlädst, synchronisierst oder importierst …

 

(3)

http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/diginomics/bundeskartellamt-facebook-koennte-nutzerdaten-missbraucht-haben-15349631.html
Frankfurter Allgemeine Wirtschaft 19.12.2017, 13:26, Kartellamt kritisiert - Facebook missbraucht Nutzerdaten

 

(4)

(https://www.facebook.com/policy.php , 11.Nov.2017

Weiterhin sammeln wir Inhalte und Informationen, die andere Personen bereitstellen, wenn sie unsere Dienste nutzen; dazu gehören auch Informationen über dich … Wir sammeln Informationen über die Personen und Gruppen, mit denen du verbunden bist, und darüber, wie du mit ihnen interagierst, wie beispielsweise diejenigen Personen, mit denen du am meisten kommunizierst … Wenn du unsere Dienste für Käufe oder finanzielle Transaktionen nutzt (beispielsweise wenn du etwas auf Facebook kaufst, einen Kauf in einem Spiel tätigst oder etwas spendest), sammeln wir Informationen über den Kauf bzw. die Transaktion. Dazu gehören auch deine Zahlungsinformationen, wie deine Kredit- oder Debitkartennummer und andere Karteninformationen sowie sonstige Konto- und Authentifizierungsinformationen und Angaben zur Abrechnung, zum Versand bzw. zu Kontaktdaten … Wir erhalten von Drittpartnern Informationen über dich und deine Aktivitäten auf und außerhalb von Facebook …

 

(5)

http://www.mediummagazin.de/archiv/2012-2/ausgabe-092012/roboter-als-reporter/:

ARCHIV » 2012 » AUSGABE 09/2012 »

Algorithmen, die 140 Zeichen auswerten und in eigenständigen Berichten wiedergeben können, lernen früher oder später auch mit längeren Textdateien umzugehen. Und damit dürfte auch der Sturm auf die letzte Bastion menschlicher Äußerungen – Gefühle und Ironie, Prosa und Poesie – durch nüchterne Algorithmen nur eine Frage der Zeit sein. Mit Wetten über einen Pulitzer-Preis für den ersten algorithmisch verfassten Essay sollte man dennoch wohl vorsichtig sein.

Ulrike Langer, Redaktionsmitglied von „medium magazin“ und freie Fachjournalistin für digitale Themen in Seattle/USA.