Spanplatten, in ihrer Jugend trendig nüchtern beschichtet, in cool mattiertem Weiß, haben viele gut gefüllte Jahrzehnte erstaunlich unverkratzt überstanden. Aber dennoch sind sie gealtert und veraltet. Dienstende jetzt.

 

Wie schaffe ich die Platten zum Wertstoffhof? Wer ließe sich motivieren, dieses Sperrgut abzuholen und statt Gebühren zu kassieren, mir noch ein Trinkgeld zu geben? Vielleicht eine stauraumbedürftige und kostenbewusste junge Familie?

Also setze ich einen „Motivationsschub“ ins Internet:

„Supermoderner Kleiderschrank weiß mit zweimal 5 Drehtüren, 4 m³!

Seidenmatt weiße Eleganz. Hochaktuelles Frontdesign im 60 cm - Raster mit klaren Kanten und stylischen Alugriffen an den Aufsätzen. Hinter 5 hohen Drehtüren unten und weiteren 5 Drehtüren im Aufsatz warten rund 4000 Liter Stauvolumen auf Ihre Schätze. Schwenkwinkel der Türen ca. 95 Grad. Schwäbische Wertarbeit - da geht was rein! VB 50Euro.“

 

Und tatsächlich antwortet Norbert, 9.1.2020, 17:23:

„Hallo Detlev,

Habe gerade die Deckenhöhe hier gemessen und der Schrank passt perfekt. Ich würde den Schrank nehmen, zeitlich bin ich flexibel, kann jederzeit mir Zeit dafür einrichten, sagen Sie mir nur, wann ich da sein sollte und bezüglich des Abbaus kann ich bestimmt auch einen Helfer mitbringen, dann brauchen Sie sich keine Arbeit zu machen. Zum Abholen kann ich jederzeit einen Firmentransporter nehmen, also sind große Teile kein Problem :) Liebe Grüße“

 

Norbert organisiert weiter und weiter. Einige Mails später schreibt er: 13.1.2020, 10:35 „Guten Morgen Detlev,

ich wollte Sie nur kurz informieren, dass ich mit zwei Helfern komme um das Abbauen und Heruntertragen zu beschleunigen. Jedoch kommt einer der Helfer erst um 16:45 am Bahnhof von Hamburg zurück, also werden wir doch erst um 17 Uhr bei Ihnen sein. Liebe Grüße „

 

Der gute Helfer hat Glück mit dieser Zugverbindung. Zusammen mit dem Käufer und einem weiteren Helfer erscheinen drei junge Männer pünktlich. Der Zugreisende mit sehr gutem Werkzeug, aber dumpfem Blick. Der strategische Planer mit superdicker Brille. Der selbstbewusste Käufer mit erhobenem Haupt und kleinem Bauchansatz. Ruck-Zuck schrauben sie. Nur kurze Diskussionen, wer was macht. Bitte so weitermachen!

 

Der Käufer offenbart in einer Arbeitspause, dass seine Allerliebste lieber einen teuren Schrank vom Elch aus einem schwedischen Möbelhaus erworben hätte. Er habe solche Kisten beim zweiten Umzug guter Freunde einst ein drittes Mal zusammenbauen müssen, doch leider sei dann alles nur noch etwas schief und klapprig dagestanden. Aber hier bei der guten Deutschen Wertarbeit da stünde ja alles auch jetzt noch richtig fest.

 

Tja, „stehen“ schon, aber einige der feststehenden Module nicht zu zerlegen, sondern zusammengebaut zu transportieren – diese Idee erweist sich dann doch als nicht praxisgerecht. So kunstvoll die ehemalige Möbelfabrik Behr aus Wendlingen im schlauen Schwabenländle schon in den 70ern patentierte metallene Schnellverschlüsse „aus dem Vollen“ drehen und gießen ließ, die zusammen mit geschickt angeordneten Schlitzen und Löchern die Platten des Schrankes im Stehen zusammenhalten, so fragil wird das Gebilde, wenn es hin- und her zu wuchten ist, die dünne Rückwand aus ihren Schlitzen springt und alles wie eine Transport-Kiste über Treppen zu tragen ist.

 

Der großgewachsene Käufer schimpft, trägt mürrisch Platte für Platte nach unten und schwitzt vor sich hin. Der Werkzeugmann und der Brillenbube frotzeln ihn an, dass sein Bürojob wohl doch nicht die rechte Fitness brächte. Schon haben sie die restlichen Schrankteile demontiert.

 

„Passen Sie auf, da ist schon wieder ein Schnellverschluss auf der Erde. Und dort im Winkel liegt eine von den weißen Abdeckkappen!“, ermahne ich den Strategen.

„Ach ja, zusammenbauen sollen wir das Ganze ja auch noch. Geben Sie mal her, meine Hosentasche ist groß“, antwortet er mit gespielter Lässigkeit. Da kommt es wirklich zupass, dass er nicht nur eine superdicke Brille, sondern auch die derzeit voll trendige Arbeitskleidung trägt. Neueste und super-coole Mode. Billig in Asien zusammengeschneidert, professionell im Spessart vermarktet. Weite Latzhosen aus derbem Stoff, dunkelfarbige Abschnitte kontrastieren mit eingenähten weißen Zuschnitten, fast schrankfarbig Die zahlreichen und voluminösen Hosentaschen mutieren von purer Dekoration zu einer wirklichen Arbeitsausrüstung.

 

Es versammeln sich alle Platten im Hausflur, der Büromann bugsiert den Transporter vor die Tür, und schon wandern die großen Teile ins Auto. „Sind euch auch keine Kleinteile runtergefallen?“, frage ich in die Runde. Recht skeptisch schauen mich die Herren an. Es scheint etwas überflüssig, dass ich mit der Taschenlampe noch ein Mal ihren Weg ableuchte. Frohgemut brummen die Mannen von dannen. Zur Pizzeria, denn der Büromann mit dem Bauchabsatz hat für seine Helfer eine Bedankungs- und Essenspause mit guten Teigwaren angesetzt.

 

Von Detlev: 14.1.2020, 18:23

Hallo Norbert, Sie haben eine schmale Rückwand vergessen!

 

Von Norbert 14.1.2020, 18:24

Oh Mist, ja wir sind um die Ecke beim Milano, ist gleich jemand da?

 

Von Norbert, 14.1.2020, 18:30

Ich bin da

 

Nicht mehr ganz so hoch erhobenen Hauptes holt Norbert die einsame Platte und zieht seines Weges. Wie werden die Herren den Zusammenbau beherrscht haben?

Schon bei der Demontage witzelten die gewitzten Helfer immer wieder:“ Wenn’s dann nicht zusammen gehen will, dann schrauben wir eben einen Winkel rein!“

 

Von Norbert, 19.1.2020, 19:54

Hallo Detlev, habe leider etwas ungenau gemessen. So ein Mist. Der Schrank ist  um schlappe 2 cm zu hoch für die Zimmerdecke. Würden sie den Schrank eventuell doch wieder zurück nehmen?

 

Von Detlev, 19.1.2020, 20:22

Hallo Norbert, eine Rücknahme ist leider nicht möglich. Die Wohnung muss ja geräumt werden. Aber haben sie vielleicht eine schnelle Säge zur Hand? Der Sockel ist nach meiner Erinnerung etwa 8 cm hoch, davon können sie ohne Probleme 2 ½ cm abschneiden. Gruß Detlev

 

Von Norbert, 19.1.2020, 20:27
Eine Säge habe ich schon, aber der Schrank passt doch oben nicht. Oben, nicht unten.

 

Detlev Stupperich, 2. Februar 2020