Rolf Steigerwald kehrte mit seinem Dackel Putin aus dem Wald nach Hause zurück. Der Oktoberwind wirbelte Blätter an der offenen Haustür vorbei in den Flur.
Der Hund trottete sofort zu seinem Weidenkörbchen in einer Ecke des Wohnzimmers, Rolf wechselte die Schuhe und bereitete sich eine Kanne Tee. Bald gesellte er sich zu Putin ins Wohnzimmer, nahm auf der Couch Platz und las. Die Biographie von Konrad Adenauer hatte er zum Geburtstag von seiner Ex-Frau Monika bekommen.
Obwohl sie seit Jahren geschieden waren - nach einem brutal offenen Gespräch, in dem sie ihm alles an den Kopf geworfen hatte, was sie an ihm störte, war sie am nächsten Tag Knall auf Fall ausgezogen. Sie hatte ihm vorgeworfen, ständig „so pedantisch" zu sein. Naja, er nahm es eben etwas genauer als sie! Außerdem war sie der Meinung, er sei „unkommunikativ“, rede zu wenig mit ihr und zeige fast kein Interesse an dem, was sie bewegte. Sie habe sogar oft den Eindruck, neben einem Fremden herzuleben. Inzwischen schafften sie es jedoch, freundlich, ja manchmal sogar freundschaftlich miteinander umzugehen.
Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er bald in die Stadt aufbrechen musste. Am Montag um 17 Uhr begann ja die wöchentliche Stadtratssitzung in Lohr. Wie immer war er gut darauf vorbereitet und packte die Unterlagen, Papier und einige Stifte ein.
Er fuhr an den Rand der Fußgängerzone und parkte. Nun überquerte er zu Fuß das bucklige Kopfsteinpflaster. Ein neuerlicher Blick auf die Uhr ließ ihn erkennen, dass er nicht mehr sehr viel Zeit bis zur Sitzung hatte. Trotzdem blieb er noch kurz vor den erleuchteten Schaufenstern eines Outdoor-Geschäfts stehen und überlegte, ob er sich für den Winter eine dieser schönen teuren Jacken leisten konnte.
Jetzt aber schnell ins Rathaus! Da kam auch noch ein Bekannter vorbei! „Hallo!“ wollte Rolf ihn im Vorübergehen grüßen. „Und, wie?“ antwortete dieser, wohl zu einem kleinen Schwatz aufgelegt. „Geht schon!“ - „Muss ja!“ - „Bis dann!“, rief Rolf und eilte weiter.
Nun bog er um die Ecke und sah auch schon das Neue Rathaus vor sich. Zielstrebig stieg er die Treppe zum großen Sitzungssaal hoch. Drinnen angekommen, grüßte er nach allen Seiten Kopf nickend und mit kleinen Handbewegungen und nahm wie immer Platz im Zuhörerraum.
Während noch viele Bürger und Stadträte unter Geraschel und Getuschel ihre Plätze einnahmen, malte er sich aus, wie er nach der nächsten Stadtratswahl an dem großen Tisch an der gegenüberliegenden Seite sitzen würde. Sein Wort hätte dann endlich Bedeutung, Gewicht. Die Bürger würden sich für seine Meinung interessieren.
In der Zeitung wären seine zukunftsweisenden Ideen abgedruckt und zur Diskussion gestellt. Aber - Diskussion hin oder her - schließlich würden seine Vorschläge verwirklicht, denn es waren ja ohnehin die besten.
Was würde er nicht alles dafür tun, um auch zu den Stadträten zu gehören – oder am besten gleich als Bürgermeister kandidieren zu können!
Er könnte die Welt verändern!
© Elfriede Jakob-Komianos