Sommer in Griechenland. Eine Familie sitzt nach dem Abendessen auf der Terrasse. Alle sind froh über den erfrischenden Wind, der nach dem heißen Tag nun vom Meer herüberweht.
         Da fällt dem 81jährigen Großvater eine Geschichte ein, die sich vor langer Zeit zugetragen hatte und die er selbst von den Beteiligten gehört hatte:

         Es war während des 2. Weltkriegs zur Zeit der deutschen Besatzung in Griechenland. In Platanás, einem kleinen Ort auf dem Peloponnes, saßen abends Dorfbewohner vor einer Taverne, tranken Wein oder Ouzo und ruhten sich von der anstrengenden Arbeit des Tages aus.
       Da wirbelte plötzlich eine Staubwolke auf: Deutsche Offiziere kamen in einem offenen Jeep herangerast und bremsten scharf und mit quietschenden Reifen vor dem Lokal. Alle vier sprangen aus ihrem Fahrzeug und setzten sich an einen freien Tisch. Einer von ihnen konnte recht gut griechisch und übernahm die Bestellung der Getränke. Da er dies recht laut und herrisch getan hatte, waren die Einheimischen gewarnt und sprachen nur über unverfängliche, alltägliche Dinge.
       Am Ast einer Platane, die weit verzweigt den Besuchern tagsüber Schatten spendete, hing ein großer Vogelkäfig, in dem ein bunter Papagei saß. Dieser krächzte ab und zu vor sich hin. Alle Gäste aßen, tranken und unterhielten sich.

       Doch plötzlich horchte der Offizier mit den Griechischkenntnissen auf. Hatte der Papagei nicht gerade etwas über die Deutschen gesagt? Um sich zu vergewissern, waren die Soldaten längere Zeit ganz still – und tatsächlich, der Vogel gab dieselben Worte von sich. Nun hatte der Offizier sie genau  verstanden: „Tod den Nazis!“ hatte der Papagei gerufen. Das konnten die Soldaten sich nicht bieten lassen
       Augenblicklich wurde der Wirt herbeizitiert. „Ich werde morgen in Begleitung der SS wiederkommen“, fuhr der Offizier ihn an, „und wehe dir und deiner Familie, wenn wir diese Worte noch einmal hören müssen!
       Der verängstigte Wirt versicherte den Soldaten, er könne sich nicht erklären, wer dem Papagei diese Worte beigebracht habe. In seinem Kopf rasten die Gedanken durcheinander – dann fiel ihm etwas ein: „Einmal hat ein Fremder aus Athen einige Tage hier  gewohnt. Der muss es gewesen sein! Denn bei uns im Dorf gibt es nur Menschen, die den Deutschen freundlich gesinnt sind, das kann ich beschwören, beim Leben meiner…!“ - „Dein angeblicher Fremder interessiert mich nicht! Ich komme morgen mit meinen Kameraden  wieder. Lass dir ja nicht einfallen, den Papagei inzwischen wegzubringen oder zu töten!“ Der Soldat stieg in seinen Wagen, wo die anderen schon auf ihn warteten, und fuhr mit ihnen davon.
       Bei den letzten Worten des Deutschen war der Wirt zu Tode erschrocken. Den Papagei wegschaffen oder ihn töten! Genau diese beiden Möglichkeiten hatte er schon in aller Eile in Betracht gezogen, um aus dieser verfahrenen Situation wieder herauszukommen.

Nun, da ihm diese beiden Wege versperrt waren, war guter Rat teuer. Inzwischen ging es schon fast auf Mitternacht zu, die Gäste, die auch alle verängstigt waren, brachen nacheinander auf. Der Wirt beriet sich mit seiner Frau, die alles durch das offene Küchenfenster gehört hatte, was nun zu tun sei. In ihrer Angst kamen sie auf die unwahrscheinlichsten Ideen, die sie dann wieder verwarfen – doch plötzlich hatten sie, wie sie meinten, einen guten Einfall.
       Etwas außerhalb des Dorfes, auf einer Anhöhe gelegen, stand ein Nonnenkloster. Von dort hatten sie vor mehreren Jahren den Papagei bekommen und es gab noch einen zweiten dort, der ihm sogar ähnlich sah. Sofort machten sich der Wirt und seine Frau zu Fuß auf den Weg dorthin und nahmen ihren verräterischen Papagei im Käfig mit.
       Im Kloster dauerte es angesichts der späten Stunde einige Zeit, bis ihnen auf ihr Klopfen und Rufen geöffnet wurde. Doch endlich fanden sie Einlass. Die Klostervorsteherin wurde geweckt. Sie bemerkte sofort, wie groß das Problem des Ehepaars war und hatte Verständnis für ihr Anliegen: die beiden Papageien zu vertauschen. Der zweite Vogel wurde geholt und in den Käfig des ersten gesetzt. Die Nonne erklärte den Beiden noch, dass der Papagei sogar ein wenig sprechen könne, allerdings nichts über politische Dinge sage, da könnten sie ganz beruhigt sein.
      Nun konnten die beiden Wirtsleute ohne Angst dem kommenden Tag entgegensehen und sogar noch etwas Schlaf finden.

       Am Abend kamen, wie angedroht, die Soldaten und einige SS-Leute in zwei Jeeps. Sie setzten sich in die Nähe des Vogelkäfigs, um die unheilvollen Worte auch ganz genau hören zu können.
       Auch die Dorfbewohner vom Vortag waren wieder zur Stelle. Keiner von ihnen sprach, so groß war ihre Spannung.
       Als nach einer halben Stunde der Papagei immer noch nichts gesprochen hatte, stand der Offizier auf, stellte sich vor ihn hin und fragte ihn: „Na, hat es dir heute die Sprache verschlagen?“ –

      Stille, keine Antwort.

      Er versuchte noch einmal, ihm die Worte zu entlocken:
„Sagst du heute deinen Satz nicht?“ –   

      Ruhe.

       Nun schrie er den Vogel an: „Tod den Nazis!“

Da krächzte der Papagei: „Amen!“

Die Geschichte hat wirklich abends auf der Terrasse jemand erzählt, der damals dabei gewesen war. Sie wurde von mir ins Deutsche übersetzt und adaptiert.

 Elfriede Jakob-Komianos