Jorgos, der Neffe und Freund meines Mannes hat zwei kleine Enkelkinder. Sie sind 6 und 7 Jahre alt. Der Junge wurde – wie üblich in Griechenland – nach dem Großvater benannt. Seine Schwester Evi ist die Ältere und heißt wie ihre Tante.
Jorgos ist der Star seiner Enkel: Er spielt lustige Sachen mit ihnen und lässt fast alles mit sich machen. Sehr gut gefällt den Kindern Folgendes: Der Opa muss die Augen schließen, den Mund öffnen und sie schieben ihm einen Bissen in den Mund. Er soll erraten, was es ist, zum Beispiel Brot mit Zitrone oder Pfirsich mit Fisch.
Beide Kinder haben Mitte August Geburtstag, nur zwei Tage nacheinander. Die Feier findet immer dazwischen statt. Jorgos hatte Anfang August noch keine Idee, was er seinen geliebten Enkeln schenken könnte. Er suchte etwas, das beiden Spaß machen sollte.
Im Internet fand er eine Seite mit aufblasbaren Schwimmtieren. Dabei war ein goldiges, großes Einhorn. Perfekt: Jetzt waren die Kinder alt genug für solch ein Geschenk. Seine Frau Apollonia war gerade in der Nähe, und er fragte sie um ihre Meinung. „Wäre das ein schönes Geburtstagsgeschenk für die Kinder, Nia?“
„Ja, als Kind hatte ich mir immer so etwas Ähnliches gewünscht, aber ich bekam bloß einen Schwimmring mit Schwanenkopf. Das Einhorn würde ihnen bestimmt gefallen. Wir müssten nur aufpassen, dass immer jemand von uns in der Nähe ist, wenn sie mit dem Ding im Wasser sind.“
„Gut, ist gebongt, ich bestell' es.“
Zwei Tage vor dem Geburtstagsfest kam ein großes Paket: das Einhorn!
Nia und Jorgos packten das Wesen aus. „Ups, ganz schön groß, das Tier!“
„Mit dem Mund können wir das nicht aufblasen, sonst fallen wir in Ohnmacht.“
„Ich besorge eine elektrische Pumpe.“
Am nächsten Tag war es so weit: Das Einhorn wurde elektrisch aufgepumpt. Es war – naja, nicht ganz so groß wie ein echtes Einhorn, aber halb so groß ganz bestimmt!
Die Enkel führten schon Tänze um das Schwimmtier auf und freuten sich.
Jorgos wurde auf einmal ganz nachdenklich: Wie kriege ich das Ding aus dem Haus? Vom 1. Stock aus der Haustür, die Treppe hinunter?
Ach, ich werfe es vom Balkon und Nia soll es auffangen. „Gehst du schon mal runter, Schatz, und fängst das Tier auf?“ Gehorsam stieg sie die Treppe hinab in den Hof. Sie konnte sich jedoch sehr gut vorstellen, wie sie unter dem Einhorn liegen würde und fast nicht mehr atmen könnte. Deshalb ging sie lieber in Deckung, als das Ungetüm herunter fiel. Gut für sie, aber Jorgos meckerte.
Das nächste Hindernis war die Hoftüre, die nach innen aufging. Jorgos und Nia konnten das allein nicht schaffen, denn die Tür war recht schmal.
Jorgos' Bruder, der im Erdgeschoß wohnt, wurde aus seiner heiligen Nachmittags-Siesta brüderlich – undiplomatisch – brutal aus dem Schlaf gerissen: „Mach schon, zieh dir was an und hilf uns, Mensch!“ - „Hä? Was ist denn das?“ - „Ein Kätzchen, komm und heb' mit uns das Gummitier durch die Hoftür!“ - „Das ist doch kein Kätzchen!“ - „Natürlich nicht, beeil dich, die Kinder wollen es ausprobieren!“ Takis, der Bruder, half ihnen nur, um nachher wieder weiter schlafen zu können.
Zum Glück wohnt Jorgos mit seiner Familie sehr nahe am Meer. Er musste nur etwa 50 Meter an den Nachbarhäusern vorbei gehen – einige Anwohner spöttelten lustvoll über die Prozession – dann über die Straße, und schon wären sie am Strand. Jetzt kam aber etwas wirklich Schwieriges: Nia hielt die beiden Kinder links und rechts fest an den Händen und sie überquerten die belebte Straße. Drüben drehten sich die Drei um :
Jorgos stemmte das Einhorn so hoch er konnte, damit er den Verkehr im Auge hatte. Doch in der Mitte der Straße erlahmten seine Arme, und er ging todesmutig weiter. Es entstand ein mittleres Hupkonzert. Puh! Geschafft! Ich lebe noch! Er warf das Ding erst mal ein den Sand. Die Kinder klatschten. Apollonia rollte mit den Augen. Wegen mir hätte er nie so einen Zirkus veranstaltet! Fast bin ich eifersüchtig auf unsere Enkel.
Fix und fertig war Jorgos und wollte sich etwas ausruhen, bevor das Vieh zu Wasser gelassen würde. Da kam ein junger Kerl auf ihn zu und sprach ihn an: „Mann – gut, dass ich dich schon gesehen habe, seitdem dieses Tier mit dir die Straße überquert hat. Ich wollte nämlich für meine Nichten auch so ein Ding kaufen. Aber jetzt lass' ich das lieber! Viel Spaß noch!“
Die Kinder hüpften um Jorgos herum und sangen: „Ins Wasser, ins Wasser!“
Das schafften sie auch noch. Danach legte sich Jorgos auf einen Liegestuhl im Schatten und schlief den Schlaf des Gerechten. Zum Glück schlummerte er schnell ein, bevor er darüber nachdenken konnte, wie wohl der Rückweg wäre. Gut, dass er noch nicht wusste, welch schrecklichen Muskelkater er die nächsten Tage haben würde.
Und wer passte auf das Einhorn und die Kinder im Meer auf?
Genau: die Oma!
© Elfriede Jakob-Komianos