Die Kollegen waren nach einem letzten Händeschütteln und verlegen-erleichtertem Schulterklopfen gegangen.

Kriminalhauptkommissar Grabner starrte nachdenklich seinen riesigen Präsent-Fresskorb an. Alles drin, was das Herz – und den Magen – eines Franken erfreuen konnte, von Wurst und Brot bis Bier und Wein. Das würde ihn locker durch die ersten Tage als Rentner bringen, satt und besoffen …

Seine Schultern strafften sich. Er war noch nicht fertig. Noch nicht ganz. Da war noch diese eine Sache – oder genauer gesagt, dieser eine Mann. Dieser Verbrecher. Herbert Fischer.

Wie oft hatten sie schon gedacht, dass sie ihn jetzt endlich an der Angel hätten – und im letzten Moment war er ihnen immer wieder irgendwie entwischt, wie ein Aal, ein zappelnder, schleimiger, widerwärtiger Aal.

Ein mieser Drogenhändler – aber nein, das durfte man ja nicht sagen, sonst schleifte er gleich wieder einen von seinen ebenso aalglatten, ebenso widerwärtigen Anwälten an. Es hatte ihm ja noch nie jemand etwas offiziell beweisen können; oder zumindest war es ihnen nie gelungen, gegen die Schachzüge von Fischers Anwälten eine Verurteilung durchzukriegen.

Aber denken durfte man es ja – ein mieser Drogenhändler war dieser Fischer. Jemand musste ihm endlich mal das Handwerk legen. Und wenn den Polizisten durch all die Vorschriften die Hände gebunden waren – nun, jetzt war Gräbner ja kein Polizist mehr. Oder jedenfalls nur noch einer im Ruhestand – einmal Polizist, immer Polizist. Natürlich durfte und wollte er sich auch jetzt nichts Illegales erlauben.

Aber so als Rentner, frei von Dienstvorschriften und Dienstzeiten, da hatte er schon ganz andere Möglichkeiten …

Gräbner wusste: Fischer hatte für nächste Woche wieder einen seiner ominösen Trips in die Türkei geplant. Er blieb da immer nur ein oder zwei Tage, bevor er wieder nach Nürnberg zurückkam, in sein angeblich einwandfrei geführtes „Import-Export-Büro“. Und danach war wieder mal in Mittelfranken und darüber hinaus eine frische Runde gewisser Substanzen im Umlauf …

Aber in Herbert Fischers Zwölf-Zimmer-Villa in Erlenstegen, in der er mit seiner Frau, einem russischen Ex-Model, lebte, stiegen immer nur harmlose Champagnerparties – und ihm war mal wieder nix nachzuweisen.

„Aber diesmal!“, zischte Gräbner leise. Diesmal würde alles anders. Diesmal würde auch ein harmloser alter Rentner mit demselben Flug wie Fischer in die Türkei fliegen, und dann gleich am nächsten Tag wieder zurück. Und er würde Fischer an den Fersen bleiben – unauffällig natürlich, aber hartnäckig.

Zum Glück kannte Fischer ihn kaum, da es immer Kollegen gewesen waren, die mit ihm direkt zu tun hatten. Gräbner selber hatte Fischer nur ein- oder zweimal kurz gesehen. Dazu vielleicht noch ein kleines Bärtchen, Sonnenbrille, ganz andere Kleidung – Fischer würde ihn sicher nicht erkennen. Wenn er sich dann nicht zu ungeschickt anstellte, dann konnte er ihn vielleicht endlich ertappen.

Gräbner rieb sich voller Vorfreude die Hände. Solche direkten Aktionen hatte er schon lange nicht mehr gemacht. Immer nur all der Papierkram, oder heutzutage eigentlich hauptsächlich Computerkram, und immer schön auf dem Dienstweg – und manchmal auf dem Holzweg …

Die Tür ging auf, und sein Kollege – Exkollege! – Simon schaute rein. Er machte immer noch an dem Fall rum, an dem er sich seit Wochen die Zähne ausbiss. Eine ganz undurchsichtige Sache im Germanischen Nationalmuseum, mit Verdacht auf Betrug, Schmuggel und werweißwas – Gräbner war echt froh, dass dieses ganze wirre Kunst-Zeugs auf keinen Fall mehr auf seinem Schreibtisch landen konnte. Simon hatte das in den letzten Wochen manchmal noch mit ihm diskutieren wollen, aber Gräbner hatte abgewinkt. Dieser ganze Kunstmist war wirklich nicht sein Ding. Und es war ganz die Sorte Fall, wo man keine Ahnung hatte, auf was für Zehen man alles treten konnte, mit was für unübersehbaren Folgen – und vor lauter Angst trat man dann nur noch auf der Stelle ….

Tja, bei der Sache mit Fischer dagegen, wenn er da jetzt als schnüffelnder Rentner was fand, da konnte er unbekümmert zuschlagen. Natürlich nicht so wörtlich, mit der Faust ins Gesicht, das ging natürlich auf keinen Fall. Aber zuschlagen im Sinne von „mit der Faust auf den Tisch“, gradraus, was tun statt immer nur zu untersuchen, berichten, beantragen, warten …

Haunernei, das war das Motto seines ersten Vorgesetzten damals gewesen – bei Wirtshausschlägereien, wüsten Demos, rumzickenden Kleingaunern – haunernei! Das war noch richtige Polizeiarbeit gewesen, damals!

Auch Simon wünschte ihm nun einen „fröhlichen Ruhestand“, und Gräbner fing an, seine Sachen einzusammeln.

Genau, das würde er tun. Nochmal so richtig zuschlagen, einen Verbrecher dingfest machen, der schon lange überfällig war. Ja, das war der richtige Start in den Ruhestand!

 

Eine Woche später stand Gräbner am Gepäckband am Nürnberger Flughafen direkt neben Fischer.

Gräbners Laune war – gemischt. In der Türkei war es ihm zu heiß gewesen, und das Essen hatte ihm nicht geschmeckt. Döner ging ja noch, aber dann hatte er solche Teigtaschen erwischt, da war nur Spinat dringewesen, und dieser weiße Käse – nee, das war nicht seins. Gleich heute abend würde er sich eine Extraportion Nürnberger gönnen, auf Kraut, mit Bauernbrot, dazu ein Dunkles …

Aber das war es wert. Denn was den Fall Fischer anging, hatte er eine Spur, eine heiße.

Zunächst mal hatte Gräbner nicht wirklich etwas von einem Drogendeal mitbekommen. Die meiste Zeit war er Fischer hinterhergeschlichen, während dieser sich nur rumtrieb – Wasserpfeifen in einer schummrigen Bar, Rumschlendern auf billigen Touristenmärkten, Rumhängen in der Hotellobby mit ein paar Rakis – nicht der kleinste Hinweis auf Rauschgift.

Aber dann war Gräbner etwas aufgefallen – schließlich war er ja nicht umsonst jahrzehntelang bei dazu der Kripo gewesen! Geschickt hatte er dann auch noch das Zimmermädchen ausgehorcht, und schließlich hatte sich die Sache herauskristallisiert.

Auf einem der Märkte hatte Fischer eine von diesen billigen, scheußlichen Vasen gekauft. Diesem Ding schenkte er irgendwie überproportional viel Aufmerksamkeit. Das Zimmermädchen hatte ihm erzählt, dass Fischer sie gewarnt hatte – wenn sie die Vase beschädigte, dann würde er sie umbringen! Und auf Gräbners drängende Fragen hin meinte sie auch, dass da weißes Pulver in seinem Zimmer war.

Als sie Gräbner gegen ein Trinkgeld etwas davon brachte, hatte sich das allerdings als bloßer Puder rausgestellt. Aber wahrscheinlich hatte Fischer inzwischen halt saubergemacht, nachdem er den Stoff irgendwie in der Vase versteckt hatte. Diese Vase benutzte er garantiert zum Schmuggeln!

Das Problem war nur – wie kam Gräbner da jetzt ran? Eine offene Beschuldigung gegenüber den Zollbeamten war nicht ratsam, das würde sein Cover hochjagen – falls Fischer dann da doch wieder irgendwie rauskam, konnte er ihm nie wieder unbemerkt näherkommen. Und klauen konnte er die Vase auch nicht einfach, das würde üble Folgen für ihn haben, selbst – oder gerade – wenn er das Rauschgift fand.

Die Vase steckte in Fischers Rucksack.

Ich muss das Ding kriegen! dachte Gräbner verzweifelt. Sonst kann ich ihm wieder nichts beweisen!

Aber er ließ es ja nicht aus den Augen. Immer wieder öffnete Fischer den Rucksack und schaute das Ding an.

Und Gräbner hatte einen Geistesblitz. Kriegen musste er das Ding ja nicht mal. Zerbrechen reichte schon – schließlich steckte das Rauschgift ja irgendwo da drinnen. Und um da dranzukommen, musste er es zerbrechen. Wenn es dann rausrieselte, war alles klar.

Als Fischer nun wieder den Rucksack öffnete – taumelte Gräbner wie unabsichtlich zur Seite, machte eine weit ausladende Bewegung, fegte mit voller Kraft den Rucksack mit der halb herausragenden Vase auf den Boden – und die Vase zerbrach!

Zerbrach in tausend Splitter.

Ein Schrei – von Fischer.

Noch ein Schrei – aus der Richtung des Ausgangs.

Gräbner hob den Kopf und sah seinen Kollegen Simon auf sich zu rennen. Was machte der denn hier? Der hatte mit der Rauschgiftsache doch gar nichts zu tun gehabt?

Das Rauschgift, genau. Gräbner sah wieder auf den Boden. Wo neben dem Rucksack die tausend Scherben der Vase lagen.

Aber kein weißes Pulver. Und keine Tabletten. Nichts. Kein Rauschgift.

Aber Fischer war kreidebleich geworden. Er sah Simon auf sich zustürmen und wollte wegrennen.

Gräbner hielt den verblüfften Fischer fest, automatisch, mit geübtem Griff. Aber seine Gehirn raste. Was war hier los? Da war doch kein Rauschgift –?

Japsend war Simon bei ihnen angelangt.

„Was hast du getan!“ keuchte er, „die Vase – oh Gott, die Vase!“

„Was ist denn mit der Vase?“

Noch während er es fragte, stieg eine üble Ahnung in ihm hoch. Simon war doch mit diesem Kunstzeug beschäftigt –

Und dann hörte er durch einen zunehmenden Nebel die entsetzte Stimme seines Kollegen, die Wortfetzen:

„Das Museum – Schmuggel – schon lange auf der Spur – die Vase – unersetzlich
– mindestens eine halbe Million -!“