Am Flughafen von Palma holte ich mir den Mietwagen ab. Gutgelaunt blinzelte ich in die Sonne und nahm sogar, ganz gegen meine Gewohnheit, einen Anhalter mit, einen deutschen Studenten mit Ziegenbärtchen und dem neudeutschen Namen Carlo.
Langsam tuckerte ich hinter einem Laster her, den ich auf den gewundenen Straßen nicht überholen konnte. Ich machte mir nichts daraus und bewunderte die vielen Blüten am Wegesrand, die jetzt im Frühling selbst die öden neuen Insel-Straßen von Mallorca verzauberten.

Carlo wurde allerdings langsam nervös.

„Können wir den ollen Tuckerkasten denn nicht endlich mal schnupfen?“ fragte er angespannt. „Dahinten, bei dem Lichtmast, da wird die Straße etwas breiter, da könnten wir doch –“

„Da könnten wir uns und den Gegenverkehr in den Kurven hier locker umbringen, ja“, ich schüttelte den Kopf. „Warum haben Sie es denn so eilig? Ist doch Urlaub, oder?“

„Schon“, Carlo zuckte die Achseln, „aber ich muss schnell ein billiges Zimmer finden, die günstigen Hütten sind immer schnell weg.“

Nun war es an mir, die Achseln zu zucken. „Mallorca im Frühling ist so schön“, dozierte ich. „Man sollte sich den Blick für die wichtigen Dinge bewahren! Schauen Sie sich doch diese herrlichen bunten Blüten an, ist das nicht wundervoll?“

Carlo zuckte ungeduldig die Achseln.

Ein toller Oldtimer kam von hinten angefegt, ein silberner Alfa Spider. Er überholte uns, geriet in Panik angesichts des plötzlich auftauchenden Gegenverkehrs, und schnitt mich brutal.

„So endet das dann!“ kommentierte ich halb verärgert, halb triumphierend. „Und genützt hat es ihm auch nichts, jetzt hängt der eben direkt hinter dem stinkenden Laster, das hat er davon.“

Aber ehrlich gesagt fing das Gezuckel an, auch mir auf die Nerven zu gehen.

Wir kamen zu einem Kreisverkehr und ich hoffte, danach an dem Laster vorbeizukommen.
Da hielt der Alfa vor mir plötzlich abrupt an. Ich bremste scharf und kam Millimeter von der Stoßstange des Alfa entfernt zum Stehen.
Aus dem Alfa sprang auf der Beifahrerseite ein hübsches junges Mädchen. Sekunden später schoss aus der Fahrertür ein schlanker junger Mann. Er redete auf die Schöne ein, packte sie am Arm.
Sie riss sich los, gab ihm eine schallende Ohrfeige, streifte einen Ring vom Finger und warf ihn den jungen Mann vor die Füße. Die beiden hauten sich wilde Schwälle spanischer Worte um die Ohren, vermutlich üble Schimpfworte, das Mädchen stampfte auf, der junge Mann warf die Hände in die Luft und verdrehte die Augen himmelwärts -

Eine temperamentvolle Show, aber der Laster war nun schon in weite Ferne entschwunden, und ich wäre auch gerne weitergefahren. Der Sportwagen schaffte es voll die Fahrspur zu blockieren, so dass man hier direkt vor dem Kreisel nicht ohne Lebensgefahr überholen konnte.

Ich hupte laut.

Einmal, zweimal.

Das Mädchen und der Mann richteten ihre Beschimpfungen nun auf mich.

Ich verstand zwar nicht, was sie sagten, da mein Spanisch nicht über den Umfang einer mittleren Speisekarte hinaus reicht. Aber ihre Gesichter sagten deutlich, was sie dachten.

Das ärgerte mich – schließlich versperrten sie den Weg, und jetzt beschimpften sie mich auch noch. Ich schimpfte also kräftig zurück, auf Deutsch, auf Englisch, ein paar Brocken Französisch und mein Küchen-Spanisch – was mir halt so einfiel.

Plötzlich bemerkte ich, dass Carlo auf dem Beifahrersitz die Tür öffnete und ausstieg.

„Danke, und tschüs!“ rief er, packte seinen Rucksack, stellte ihn am Straßenrand ab und setzte sich daneben.

Also, was soll das denn nun wieder, dachte ich ärgerlich, eben hatte er es noch so eilig gehabt. Allerdings kamen wir ja genaugenommen nicht wirklich vom Fleck.

Ich hupte noch ein paarmal kräftig. Das verschaffte meinem Ärger Erleichterung – und schließlich wirkte es auch tatsächlich.

Warum, das wurde mir klar, als ich in den Rückspiegel schaute: Dort näherte sich ein Polizeiauto.

Der junge Mann sprang nun doch lieber in seinen Sportwagen. Das Mädchen stieg nach kurzem Zögern auch wieder ein, und der Spider brauste mit quietschenden Reifen davon.

Ich fuhr langsam hinterher, ebenso wie das Polizeiauto, das an dem Kreisel allerdings in eine andere Richtung abbog.

Erleichtert fing ich an zu summen. Ich hatte den Laster los, die irren Alfafahrer, den ungeduldigen Anhalter und das Polizeiauto. Auf zu meinem Hotel!

 

Zwei Tage später schlenderte ich in der Altstadt herum, trank ein Glas Wein in einer Kneipe, beäugte neugierig Bars und Lokale.

Einige sahen verdammt teuer aus. Genaueres Hinsehen bestätigte den Eindruck: Schon die Preise für die Vorspeisen waren astronomisch.

Während ich noch überlegte, in welchem Lokal ich mich niederlassen sollte, sah ich Carlo, den Studenten, den ich mitgenommen hatte.

Er saß in einem der teuersten Lokale, die ich gesehen hatte, vor sich eine Flasche Wein, eine Riesenportion Hummer –

Ich hielt inne, starrte ihn an. War das eine Verwechslung?

Er schien meine Blicke zu spüren, drehte sich um und sah mich an.

„Hallo!“ rief er freundlich und winkte mich zu sich heran.

Ich zögerte kurz, weil das Lokal wirklich sehr teuer wirkte. Und ich war misstrauisch – wie konnte der Student sich das leisten, vorgestern hatte er doch noch nach einer möglichst billigen Absteige gesucht. Hatte er womöglich etwas Illegales abgezogen? Etwas geklaut? Drogen verkauft?

Aber dann siegte die Neugier und ich setzte mich zu Carlo an den Tisch.

Er bestellte eine Flasche Champagner und ich wurde nervös. Ich versuchte ihm klarzumachen, dass ich mir das nicht leisten konnte oder wollte.

„Sie sind natürlich mein Gast!“ rief er übermütig.

Ich starrte ihn an.

Er grinste: „Ich will mich bei Ihnen bedanken. Ich habe das getan, was Sie mir geraten haben!“

Ich schüttelte verwirrt den Kopf.

„Ich habe den Blick für das Wichtige bewahrt“, erklärte er. „Als Sie alle weg waren, da habe ich auf der Straße nach dem Ring gesucht. Nach dem Ring, den das Mädchen weggeworfen hatte. Und was das für ein Ring war – mit mehreren riesigen Diamanten dran! Der junge Mann ist wohl ein schwerreicher Hotelerbe. Ich hab den Ring eingesteckt und mich schnell verdrückt. Erst war ich kurz in Versuchung – aber dann habe ich im Internet gesehen, dass der eine Wahnsinnsbelohnung ausgesetzt hat, und ich habe den Ring zur Polizei gebracht. Weniger potentieller Ärger, aber trotzdem ordentlich Kohle. Der Finderlohn reicht mir jetzt locker für zwei Wochen Luxusurlaub hier !“