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Am 20. Juli 1969 saß Sebastian mit seinen Eltern und seiner kleinen Schwester Eva gespannt vor dem Fernseher. Sein Vater sagte, dass sie heute einen Meilenstein der Menschheit sehen würden, den Mondflug. Sebastian sah den Mond in Schwarz-Weiß. Astronauten liefen unsicher die ersten Schritte auf einer anderen Welt.
Und seit diesen Bildern stand seine Phantasie Kopf. Alle tollen Ideen purzelten wild umher. Er sah sich schon selber in so einem Astronautenanzug. Aber auch Sebastian wusste, dass er erstmal klein anfangen musste. Zum Mond könnte er später immer noch. Der kann warten. Er wollte erst einmal fühlen, wie es ist, abzuheben, zu fliegen, frei zu sein. Der Plan stand schon fest. Die Dinge, die er brauchte, gab es nur an Silvester.
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Auftrag eins: Feuerwerksraketen besorgen, egal wie.
Ausführung: Schwierig!
Begründung: Erwachsene nehmen Kinder nicht ernst, halten Kinder für zu klein.
Ende des Auftrags: Nein!
Lösung: Oma Franziska. „Ach ihr Kinder habt ja immer so verrückte Ideen …”
Einkauf mit einer erwachsenen Person brachte ein:
10 großvolumige Raketen, 2 kleine, um eventuelle Korrekturen vorzunehmen.
Außerdem gab man Oma einen Kaffee aus. Preis: 50 Pf.
Der Heimtransport war etwas heikel. So viel sei vermerkt.
Auch hier: Zu viele Fragen.
Ach ja, ein Feuerzeug muss auch besorgt werden. Nun gut, der Vater ist Raucher. Wenigstens hier ein Vorteil. Lagerung der Schubraketen im Gartenhaus. Seit dem Verlust des Hängeschlosses nicht mehr abgeschlossen …
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Auftrag zwei: Herstellung eines Gürtels, der die Schubraketen aufnimmt und sichert. Auch hier viele Fragen von Erwachsenen.
Lösung hier: Sebastians Cowboygürtel. Hier sind so viele Öffnungen für Patronen rundrum … Um ihn für die Raketen tauglich zu machen, wurde alles verstärkt. Mit Mutters alten abgelegten Echtledergürtel. Nicht zu vergessen die Tube Spezialkleber aus Vaters Werkstatt.
Von jetzt ab Projektname: Raketengürtel
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Auftrag: Raketengürtel
Woher den Stuhl nehmen, auf den sich der Raketenmann setzen kann, bis zum Zünden der Raketen?
Lösung: Schon wieder das Gartenhaus. Dort wurde das Benötigte gesehen.
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Pünktlich um 24 Uhr saß Sebastian am Silvesterabend auf dem Stuhl, den Raketengürtel umgeschnallt. Er war umgeben von dem Körperschutzstreifen, der als Schutz vor all den Raketenauswürfen dienen sollte. Es konnte losgehen. Er nahm seine Schwester auf den Schoß. Mit leuchtenden Augen gab der den Startbefehl an Eva: Zünden!
Eva nahm das Feuerzeug und steckte wie wild all die Raketen an, so gut es ging.Es zischte und heulte, es qualmte und funkte, die Raketen gaben ihren Inhalt in allen Farben und Formen um Sebastian und Eva frei. Beide hatten die Augen geschlossen. Tapfer hielt er seine kleine Schwester fest. Plötzlich rüttelte jemand an ihm. Es war Eva.
Sebastian blickte sich um. „Eva! Sind wenigstens ein paar Meter …” Er sah an sich hinab. Der Stuhl hatte sich keinen Zentimeter bewegt.
Tränen kullerten aus seinen Augen. „Es hat nicht funktioniert!”
Seine Schwester nahm ihn in den Arm.
„Ach, das macht doch nichts”, sagte sie tröstend.
„Verbessere den Raketengürtel und nächstes Jahr versuchen wir es wieder.”
Seine Augen begannen zu strahlen.
„Ja, das machen wir!”
16/2/18