Es war kuschelig im warmen Stroh. Nelly streckte ihre Füße aus und ließ sich von Dolly beschnuppern. Sie hatte die Schafe richtig liebgewonnen. Sie waren zu ihrer Familie geworden, seit sie von ihrer Mutter Susi getrennt wurde. Die ersten Sonnenstrahlen kitzelten ihre Nase. Bald würde der Zweibeinige kommen und sie auf die Weide lassen. Der Zweibeinige war schon ein sonderbarer Geselle. Von seiner Erscheinung her war er ein Raubtier. Das verrieten nicht nur die Anordnung seiner Augen, sondern auch die krallenartige Auswüchse an seinen Vorderpfoten, mit denen er richtig zupacken konnte. Aber er tat den Schafen nichts. Im Gegenteil, er hegte und pflegte sie. Auch versorgte er Nelly und ihre Artgenossen mit einem roten etwas, das lecker schmeckte, so ganz anders als das Gras, das die Schafe fraßen. Der Zweibeinige öffnete die Stalltür und das Gattertor. Nun drängten sich alle ins Freie. Die Schafe hüpften auf der Weide herum. So froh waren sie, dass sie wieder draußen waren. Nelly und die anderen Herdenschutzhunde hatten alle Pfoten voll zu tun. Sie mussten auf diesen undisziplinierten Haufen achtgeben. Kein Schaf durfte verloren gehen. Der Zweibeinige trieb alle den Berg hoch und als es dunkel wurde, blieben sie draußen. Das war neu für Nelly. Susi kam auf sie zu und erklärte ihr, dass nun eine gefährliche Zeit für die Schafe anbrach. Wölfe wollten sie fressen. Jetzt gelte es, die Wölfe zu vertreiben. Kurz nachdem Susi gegangen war, wurden ihre Schafe unruhig. Sie blökten und flüchteten. Nelly rannte an den Rand der Schafherde. Da sah sie einen grauen Vierbeiner auf sich zu kommen. Er hatte eine entfernte Ähnlichkeit mit ihren Artgenossen. Verwundert blieb Nelly vor ihm stehen. Der Graue beschnüffelte Nelly und umkreiste sie dann. Nelly rätselte, was er von ihr wollte. Vielleicht verstand dieses Raubtier ihre Sprache. So fragte sie ihn:

„Willst du etwa meine Freunde fressen?“

„Deine Freunde? Mädchen, du bist kein Schaf. Du bist eine Wölfin, wenngleich auch eine gezähmte. Du frisst auch kein Gras, sondern Fleisch wie ein Wolf, mit dem Unterschied, dass du nur die kläglichen Reste bekommst von dem, was die Zweibeiner gejagt haben. Ich hingegen kann mir die besten Stücke aussuchen, weil ich selbst jage.“

„Mein Zweibeiner jagt seine Schafe nicht. Er zieht ihnen nur das Fell aus, wenn es wärmer wird. Fast so, wie er es selbst tut, wenn es ihm zu heiß ist.“

„Dann pass bloß auf, dass er dir nicht das Fell über die Ohren zieht. Zweibeiner jagen. Das habe ich selbst gesehen. Sie haben da so ein Eisending. Da kommt so etwas ähnliches wie ein Steinchen herausgeschossen. Das reißt tiefe Löcher in den Leib. Beinahe wäre ich selbst einmal getroffen worden, wenn ich nicht davon gerannt wäre. Der Zweibeiner hat dich abgerichtet, damit du seine Schafe hütest, mit dem Ziel, dass ihm ja kein Wolf ein Schaf wegfrisst und als Dank dafür gibt er dir nur das, was er übrig lässt. Du bist nur sein Lakai. Ich dagegen bin frei.“

„Im Unterschied zu dir fühle ich mich sicher und geborgen in meiner Herde. Du leidest Hunger, wenn du nichts erjagst. Aber ich bekomme regelmäßig mein Futter und das nährt mich gut. Doch du  musst immer umherziehen und hast keine Familie.“

„Ich werde mir eine Frau suchen und dann mein eigenes Rudel haben.“

„Meine Tochter bekommst du nicht! Und jetzt verschwinde, sonst beiße ich dir in den Hintern“, knurrte Susi, die plötzlich vor den beiden auftauchte.

Zu Nelly gewandt bellte sie: 

„Dolly und die anderen Schafe sind schon ganz verstört. Also mache deine Arbeit!“

Dann hetzten beide zusammen mit den anderen Hunden den Wolf und vertrieben ihn. Danach trottete Nelly mit ihrer Mutter zur Herde zurück und dachte nach, aber nur so lange, bis sie ihre geliebten Schafe wieder sah. Sie begrüßten sich freudig und Nelly versprach ihnen, dass sie Dolly und die anderen nie mehr im Stich lassen werde, komme was da wolle.