Gregor Samsa schaute sich um. Das Gras war meterhoch. Er wollte flüchten. Da merkte er, wie er sich erhob. Er wunderte sich. Er konnte fliegen. Ein tiefes Brummen begleitete ihn. Er schaute auf seine Flügel. Kein Zweifel. Er war zu einem Käfer geworden. Zielstrebig steuerte er ein Tischtuch an, auf dem noch die Reste eines Picknicks lagen. Den großen Krümel dort, den wollte er verspeisen. Er knabberte daran. Doch der Brösel schmeckte nach nichts. Da kamen auch schon Menschenhände auf ihn zu und schlugen nach ihm. Er wich aus und wurde panisch. Was ist, wenn mich kein Mensch mehr mag? Ich bin doch auf Facebook. Verliere ich dort nicht alle meine Freunde? Und wie soll ich mich eigentlich bezeichnen? Man kann dort ja ziemlich alles anklicken. Ob man zum Beispiel Katholik ist oder doch eher Atheist. Ob man Single ist oder liiert. Ob man heterosexuell ist oder homosexuell usw. Nur dass man ein Käfer ist, kann man auf diese Weise nicht mitteilen. Und was sollte er ihnen sagen, was er den ganzen Tag so treibe? Er konnte ihnen doch nicht kundtun, dass er tagein und tagaus nur Futter suchte und ab und zu einmal einen Unterschlupf, damit er sich vor seinen Fressfeinden verstecken konnte oder vor den Unbilden der Witterung geschützt war! Und was sollte er der Partnervermittlung sagen, bei der er online Mitglied war? Wenn er dort angab, er sei ein flotter Käfer, hielten sie ihn wahrscheinlich für ein Mädchen. Dabei war er doch ein Männchen. Doch was wollte er jetzt noch mit einer Frau? Er konnte ja nur über ihren Körper krabbeln. Mehr aber auch nicht.

Schließlich stellte er sich die entscheidende Frage. Mit wem konnte er eigentlich noch kommunizieren? Vielleicht mit Leuten, die in Diätforen unterwegs waren. Doch konnte er tatsächlich mit denen über die Vorzüge von Kohlblättern plaudern? Aber nein. Die magische Kohlsuppe war ja schon aus der Mode gekommen. Dann blieben ihm nur noch die Umweltforen. Da wäre er in seinem Element. Dort ließe es sich vortrefflich über die Schaffung neuer Biotope und über ein Verbot aller Spritzmittel fabulieren. Doch halt! Diese Damen und Herren sind oft so moralisch und dogmatisch. Sie verbieten gern. Am Ende weiß selbst so ein kleiner Käfer nicht mehr, wo er noch ungestraft seine Notdurft verrichten kann. Nein, er war jetzt ganz betrübt. Auch weil ihm bewusst wurde, dass er als Käfer doch gar nicht mehr die Kraft hatte, irgendeine Taste zu drücken. Da kam ihm ein schlimmer Verdacht: Irgendjemand wollte ihn vernichten. Dieser Unhold musste ihn mit einem Algorithmus verhext haben. Aber wo war der Fehler im Programm? Er musste ihn suchen und beseitigen. Doch ehe er sich versah, griff ihm jemand an den Kopf und riss etwas Schweres von seinen Augen. Er blinzelte, als er in ein gleißendes Licht schaute, das blendete, als sei es selbst die Sonne. Bald konnte er einen dunklen Umriss ausmachen und noch etwas später erkannte er, dass seine Mutter vor ihm stand. Sie wedelte mit einer klobigen Brille herum und schaute grimmig. Bestimmt hatte sie vor kurzem geputzt. Da hatte sie es nicht gern, wenn so ein Käfer ihr alles wieder schmutzig machte. Zu allem Unglück ertönte auch noch ihre Stimme:

„Gregor, hast du etwa schon wieder „Sei ein Tier“ gespielt? Du weißt doch, dass du das nicht sollst. Du brauchst immer Stunden, bis du wieder erkennst, dass du ein Mensch bist!“

 

Maria Herbert