Damals herrschte unter den meisten jüngeren Leuten eine lockere Auruchstimmung, wenn ich mich recht erinnere. Ich hatte gerade meine Soldatenjahre beendet, und der Abschied von der Armee erwischte mich besonders heig, weil er auch mit dem Ende meiner Ehe verbunden war.
Beides traf mich so plötzlich, dass es mir gelegen kam, in diesem norddeutschen Städtchen mit seiner neuen Universität gelandet zu sein. Hier kannte mich keiner, und ich war zunächst dem Druck entzogen, Erklärungen und Rechtfertigungen abgeben zu müssen für jene, die mir nahestanden.
Kurz: Ich musste noch einmal von vorne anfangen. Mir erneut einen Platz im Leben suchen. Nicht leicht für einen, der zwar weiß, was er nicht will, aber andererseits eine Fülle von Neigungen hat, die nicht alle ohne Weiteres beruflich zu verwerten sind.
So schrieb ich mich kurzerhand an der Universität ein. Lehramt Gymnasium. Latein und visuelle Kommunikation, wie der Kunstunterricht damals genannt wurde. Das versprach am wenigsten Arbeit und eine spätere Beamtenstelle. Ich war erst einmal mit einem gesellschaftlichen Status untergekommen.
Meine Kommilitonen waren ein Kapitel für sich. Ich war älter als die meisten, unterschied mich in Körperhaltung und Haarschnitt deutlich von den Alternativ-Bewegten, die damals den Ton an der Uni bestimmten. Und als ehemaliger Offizier hegte ich eine tiefe Abneigung gegen quälend lange Entscheidungsprozesse mit ständigen Grundsatzdiskussionen. Das Klima an den Universitäten war damals geschwängert von dieser Geisteshaltung.
In der Folge entzog ich mich dann auch zunehmend dem Lehrbetrieb, las tagelang in meinem Zimmer und ließ mich treiben in der vagen Honung, eine angemessene berufliche Chance zu nden. Allerdings wusste ich inzwischen, dass ein neuerlicher Einstellungsstopp für Lehrer bevorstand.
In dieser Zeit lernte ich Inge kennen. Sie war Ende zwanzig, und ich hatte sie hier in meiner Stammkneipe noch nie bedienen sehen. Auffallend war ihre distanzierte Kühle bei der Arbeit. Dazu dunkle Rehaugen und ein herb-ironischer Zug um den vollen Mund. Sie hatte eine besondere Note.
Ich erfuhr, dass sie ab sofort jedes Wochenende arbeiten würde, und natürlich war ich dann zur Stelle. Inge wechselte in der Folge bei jeder Bestellung ein paar Sätze mit mir, und an ihren Seitenblicken erkannte ich eine kleine Neugier auf mich.
Ich will nicht zu ausführlich werden. Wer das Kneipenmilieu kennt, weiß, dass sich hier viele Wege kreuzen. So kam ich beinahe zwangsläug mit Inge in näheren Kontakt bei einer Feier im Partykeller von Bekannten. Sie hae keine Berührungsängste, erzählte von dem kleinen Nest Burhave an der Nordsee, aus dem sie stammte.
Wie zu erwarten war, hatte sie eine gescheiterte Langzeitbeziehung hinter sich und träumte von einem Neuanfang in Argentinien. Im Übrigen studierte sie seit einiger Zeit Sozialpädagogik und wollte ihr Examen machen. Mein Leben war ähnlich in der Schwebe, und mein Traum waren die kanadischen Wälder und Seen.
Natürlich lotet man am Anfang einer Beziehung scherzhadie Gemeinsamkeiten aus. Wir verstanden uns gut, aber bei der Wahl unseres zukünftigen Heimatlandes kamen wir einander nicht näher. Mir graute vor der Gluthitze der Pampa und dem Großstadrubel von Buenos Aires. Sie klapperte bereits bei dem Gedanken an Schlittenhundgespanne mit den Zähnen. Es war absehbar, dass unsere lockeren Traumtage, leicht und voll erotischer Spannung, nicht von Dauer sein würden. So holte uns dann auch nach wenigen Wochen der Alltag ein. Meine Eltern brauchten mich dringend, und Inges Examen rückte näher. Abschied also mit viel Wehmut. Mein Kanada war schon immer mit dem Spessart verwandt, und ich verließ den Norden ohne großes Bedauern.
Lange Jahre später machte ich Inge mit Hilfe ihrer betagten Muer telefonisch in Hannover ausfindig. Sie war glücklich verheiratet, hatte zwei kleine Töchter und eine gute Position beim Müttergenesungswerk. Ihre Pampa war die norddeutsche Tiefebene, und Hannover war ihr so recht wie Buenos Aires. Es ging ihr wirklich gut, und sie konnte sich nur noch ganz schwach an mich erinnern.
Bei mir war es umgekehrt. Nachdem ich seit meiner Rückkehr in den Spessart in seelischen Dauerfrost gefallen war, schien mir ein Ritt mit Inge über die heiße Pampa immer begehrenswerter. Naja, ich httae meine Chance gehabt. Was ist sonst geblieben von Kanada und Argentinien? Wir haben uns jedenfalls nicht gegenseitig unglücklich gemacht. Das ist nicht das Schlechteste, was man von einer Beziehung sagen kann!