Der Alte schaute müde den Vögeln zu, die auf der Wiese vor seinem Sprossenfenster ihre Abendrituale aufnahmen. Es waren die gleichen geblieben, seit er als Junge begonnen hatte, das Leben für sich greifbar zu machen und zu ordnen.
„Jeder Mensch muss sich die Welt neu erschaffen!“ Hatte er kürzlich auf einem Plakat gelesen. Er musste unwillkürlich schmunzeln, und ein aufmerksamer Beobachter hätte festgestellt, dass in seinen Mundwinkeln eigenartige Empfindungen angedeutet waren: Eine Mischung aus Spott, Resignation und leichter Verbitterung. Dazu ein kleiner Schuss Verachtung.
Denkt aber nicht, dass er ein Menschenfeind war. Seine Verachtung wendete er auch gegen sich selbst, wenn er seinem eigenen Anspruch nicht genügte. Das war bei ihm ohnehin die Regel.

Um auf den Spruch des Werbetexters zurückzukommen und das Schmunzeln des Alten: Der hatte sich vor einigen Jahrzehnten selbst nicht ohne Erfolg in dieser Branche versucht, und kannte natürlich die Honorarsätze, die zu holen waren bei Erfolg.
Nur war es zu seiner Zeit ausgeschlossen, mit banalen Lebensweisheiten in das Bewusstsein der Menschen durchzudringen.
„Die Zeiten ändern sich, und wir uns mit ihnen!“. Diese Aussage war Standardmeinung der alten Römer.
Jetzt grinste der Alte zufrieden. Seine Zeiten hatten sich gewaltig geändert, aber er war der gleiche geblieben. Er freute sich auf seine Abendzigarre und wusste, heute würde sie ihm schmecken.

Sommerberg

im August 2015