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Es ist immer traurig, wenn sich ein Mensch aus dem Kreis guter Bekannter und Freunde verabschieden muss. Erschrocken muss man dann oft wahrnehmen, wie wenig man über den Verstorbenen eigentlich weiß. Aber Reiner hat uns während der regelmäßigen Stammtische und in seinen Geschichten mit oftmals scharfer Zunge und in knappem Stakkato viel über sich selber erzählt, was für mich den Kontakt verstärkt hat. Seine Texte und seine teilweise ebenso gefühlvollen wie auch manchmal etwas extremen Einwürfe waren sicher kein leicht verdaulicher Smalltalk, aber stets mit Tiefgang und für mich eine wesentliche Facette in dem bunten Leselaub unserer Gruppe. Seine mitunter depressive Lyrik hat nach meinem Empfinden andere, erheiternde Texte nicht nur als flache Unterhaltung dastehen lassen, sondern auch das darin enthaltene, positive Lebensgefühl verstärkt.

Aus seinem letzten Text für unsere Runde über das Schicksal des Sisyphos entnehme ich die Botschaft, den alltäglich auf den Berg zu rollenden Stein auch mal mit Entspannung zu bewegen und die Hoffnung nicht aufzugeben, dass der Stein irgendwann doch mal auf dem Gipfel liegen bleibt. Reiner ist nun von seinem Stein entlastet.

Detlev Stupperich, 10.12.2015


Freundschaft, Liebe und Anerkennung -

wer braucht das nicht?

Alle möchten wir das, 
auch du und ich.

für Reiner

Elfriede Jakob-Komianos, 11.12.2015


Für Reiner Georg Cwielong!

Bereits beim ersten gemeinsamen Stammtischtreffen war ich fasziniert von deiner Art, ein Gedicht oder Geschichten vorzutragen. Obwohl wir doch so verschieden in unserem Schreiben und Vortragen sind, suchtest Du die Nähe und den Kontakt zu mir.

Die gemeinsame Teilnahme an der Anthologie war dir sehr wichtig und die Buchvorstellung nebst Lesung lag Dir am Herzen.

Als es Dir dann aber gesundheitlich nicht möglich war, etwas von Dir selbst vorzutragen, fiel Deine Wahl auf mich. Das war aber nicht etwa eine Frage von Dir an mich – nein Du hast es vermittelt, dass ein Ablehnen nicht zur Debatte stand. Deinen ausgewählten, sehr persönlichen Text von Dir zu lesen und Deinem Anspruch gerecht zu werden, war eine große Herausforderung, zumal ich beim Vortragen an Deiner Seite stand.

 

Ich habe es gerne gelesen!

– Ich habe es gerne für Dich gelesen, lieber Reiner!

– Und um es in Deinen Worten zu sagen: „Es war mir eine Ehre!“

 Jürgen Leimeister im Dezember 2015


 

Du hast genervt. Du wusstest das auch, stimmt‘s? Vielleicht daher der Kommisston: Keine Widerrede! Ich muss nicht geliebt werden! Hauptsache, du tust, was ich dir sage, das ist schon genug, und mehr erwarte ich auch gar nicht. Es geht doch nur um die Zigarre. Und um die drei Gläser Rotwein, alle vier Wochen, beim Stammtisch. Solange mir die jemand bezahlt. Gib mir zwanzig Euro, dann kann ich den Wein trinken und obendrein jemanden zum Tabakladen schicken!

Du warst ein Genießer. Selbst dann noch, als du schon ein riesengroßer Haufen Elend warst, in deinem Rollstuhl, sabbernd, keuchend und röchelnd und voller Mitgefühl für all die Menschen um dich herum, die keine Ahnung hatten, was es bedeutete, du zu sein! Sie würden nie lernen, worauf es ankam im Leben, nicht wahr? Nein, auch wir nicht. Wir waren doch nur Kinder, große, dumme Kinder. Aber Du, mit deinen bald 65 Jahren! Du würdest die Weisheit nun mit Löffeln fressen, warst ja autorisiert dazu, während wir – nun ja, lassen wir das. Kindsköpfe, keine Ahnung, worum es wirklich geht, k e i n e A h n u n g!

Nein, auch ich nicht, deine Verlegerin, wie du gern betontest. Verlegerin – es klang irritierend selbstverständlich aus deinem Mund, dazu verheißungsvoll, und es schmeckte nach Verantwortung. Ich mochte diese Schuhe nicht, die du mir hinstelltest. Sie waren zu groß. Zu unförmig auch. Deine Verlegerin: Sie war deine Muse, deine Mäzenin, deine Hoffnung, deine Gesellschafterin, eine, die dich verehrte, ermahnte, ermutigte und kritisierte. Ihre Existenz wies dir einen würdigen Platz in der Gesellschaft zu; du mochtest es, wenn alle sehen konnten, wie sie dich besuchte, dich, den Auserwählten fürs Irrenhospiz. Dorthin hast du dich gewünscht, als Zuflucht vor der Verrücktheit der Welt, und in eine Vorstufe dazu haben sie dich ganz am Ende tatsächlich gesteckt; Du warst nicht böse drum.

Deine Verlegerin durfte dir die Meinung sagen, wenn du danebengegriffen hattest. Sie durfte dich auch stillschweigend auf die Rotze in deinem Bart hinweisen und dir ein Taschentuch reichen – einem, der gern in Kategorien von Heiliger und Hure fantasierte. Die Erotik hast du deinen Texten anvertraut, zum Erschrecken empfindsamer Gemüter. Es fiel dir schwer, Erotik ohne Gewalt zu denken, oder ohne Heldentum – sahst auch nicht ein, warum Du es hättest versuchen sollen. Für uns war es starker Tobak. Ich weiß nicht, ob wir dich in unseren Reihen ertragen hätten, wenn unser Kreis dir nicht eine Ader gewesen wäre, durch die ganz offensichtlich Lebensmut floss, roh und unverstellt. Ich war mir nie ganz sicher, ob ich nicht Angst vor dir haben sollte. Selbst deine Depression war kraftvoll, und du konntest hart sein, sehr hart.

Deine archaische Sprachgewalt: Alles war groß und existentiell, „Kampf und Liebe“, „Ehre und Treue“. Wie zuvor schon deine sonore Stimme – voll, gebieterisch, gelegentlich polternd –, brach und bröckelte zum Schluss auch deine Sprache. Ich hatte den Hut gezogen vor deiner Disziplin im Umgang mit ihr. Du selbst verneigtest dich vor der Sprache, in Ehrfurcht. Sie war dein Ritterfräulein gewesen, das dich an Distinguiertheit weit übertraf und herausforderte, dich zu ihm aufzuschwingen, in den Olymp des Wortes. Du danktest es der Sprache, indem du alle deine Gedichte jederzeit auswendig rezitieren konntest, bevor die Zuverlässigkeit deiner Lebensfunktionen dich im Stich ließ.

Illusionen? Keine, woher auch, dich hatten zu viele Wasser gewaschen. Stattdessen ein vergnügter Schalk im Nacken, wann immer du dich körperlich mal weniger belastet fühltest – zusätzlich zum Geist, der über Wasser blieb, wach, allzeit bereit. Das war dir über alle Maßen wichtig, zelebrierter Triumph, wie der Geist in dir herrschte, über den ganzen vernachlässigbaren, da vergänglichen Rest. Möge alles schwächeln, bröckeln und zerfallen: nicht aber der Geist von Reiner Georg Cwielong!

Er muss Retter in der Not gewesen sein, dein Geist. Ein Leben lang. Gegen alle Widrigkeiten.

Wie du ausgesehen hast! Ein Bär von einem Mann mit diesem etwas liederlichen Äußeren, mit dem zuletzt immer noch ein wenig tiefer im Gesicht sitzenden Käppi und dem ewig offenen Trenchcoat, sommers wie winters, auch schon, als du noch nicht von Krankheit gezeichnet warst.

Wie kann man, den Kommandoton noch im Ohr, den du am Telefon besonders gern annahmst, von deiner Erscheinung sagen: Er war ein grundgütiger Mensch? Wie? Vielleicht war es, dass du das Scheitern hattest ertragen lernen, ohne unterzugehen. Vielleicht hast du dich manchmal ein wenig erhoben über uns, von denen du annahmst, dass sie nicht annähernd so viel hatten aushalten müssen wie du. Als ob erwiesenes Leid adelte. Immer noch besser als es beschämt zur Kenntnis zu nehmen, stimmt’s, Reiner? Tapferkeit vor dem Feind – und dabei doch, fast widerwillig, ein tief sitzendes Verständnis für jene Kreaturen, die nicht so viel Mumm in den Knochen hatten wie du zu haben gezwungen warst. Woran du schließlich zerbrachst. Du hättest auch gern die Wahl gehabt loszulassen und dich in Obhut zu wissen, ohne Bevormundung.

Als wir uns zum letzten Mal sahen, hast du mich gebeten, eine Apfelsine aus dem Speisesaal zu holen. Sie würde dein Abendessen sein. Zwanzig Kilo hattest Du abgenommen, mindestens, innerhalb kürzester Zeit. Du nahmst es als Zeichen der Genesung – du siehst ja, Sabine, die Lymphe fließt ab, mir geht’s immer besser! Und nun geh und hole die Apfelsine! Im Speisesaal bat ich auch um ein Schälmesser und einen Teller, und so saß ich dann vor dir und schälte bedächtig, während wir uns unterhielten und auch ein wenig schwiegen; die Schale löste sich nur schwer von der Frucht. Als die Orange geschält war und ich aufsah, um sie dir zu reichen, blickte ich in wässrige Augen. Du kamst von weit her, als du sagtest, das habest du dir immer gewünscht: jemanden, der für dich sorgt und dir eine Apfelsine schält. Es sei anders gekommen.

Das Zuschauen bei deinem Verfall hat wehgetan. Dabei hatten wir dich gerade erst kennengelernt. Zwei kleine Jahre von vielen großen, 65, wie du betontest, obwohl der erste Januar erst noch bevorstand, du Neujahrskind. Und doch gehörten wir schon zusammen, als der Wirtin die Spuren deiner wachsenden Inkontinenz derart zusetzten, dass wir uns ein neues Stammlokal suchen mussten. Es hat die Gruppe nicht zerrissen, im Gegenteil. Obwohl wir es nicht wirklich einfach hatten mit dir. Aber es gab unter uns auch keinen mit einer so tief empfundenen Dankbarkeit dafür, dass es uns gab.

Die Anthologie war dir ein großes Anliegen. Du hattest große Sorge, das Projekt könnte scheitern, legtest dich mir dringend nahe, als selbst ernannter Berater einer zunehmend genervten Herausgeberin – Reiner, lass mich, lass uns, das wird schon!

Es ist geworden, es erstickte nicht unter deiner Sorge. Ich musste ignorieren, welche Bedeutung die Veröffentlichung für dich hatte, sonst wäre ich nicht gut weitergekommen damit.

Es war das Letzte, was du noch vollbringen musstest: dieses Buch in die Welt setzen, dieses Buch, in dem alle Welt die Geschichte vom Kreuz im Wald würde lesen können, Vermächtnis für deinen Sohn Martin, das ihm sagen soll: Glaube kein Wort von den Heldengeschichten deines Vaters, letztlich geht es doch unter Menschen nur um ganz einfache Bedürfnisse und ganz natürliche Wünsche und um ganz schreckliche Schicksale – und darin sind wir uns alle gleich!

Ich bin froh, dass du noch gewartet hast, bis wir gemeinsam unser Buch präsentieren konnten. Dein stiller, seltsam genügsamer Stolz nach unserer Lesung im Alten Rathaus, zusammen mit jener tiefen Zufriedenheit, die du später dann bei Rotwein und Zigarre ausstrahltest, hätten mir sagen können, dass du am Ende des Wegs angekommen warst.

Adieu, Reiner. Es war eine gute Zeit, mit dir.

Sabine Fiedler-Conradi, im Dezember 2015