Akt in einer Szene
Pferd: Gestatten, Pferd.
Gronge: Gestatten, Gronge.
Ich bin ein Pferd.
Ein Pferd? Tatsächlich, wie interessant. Wie lebt es sich als Pferd?
Na ja, ..., wie ein Pferd.
Tatsächlich, wie interessant, ... ich hatte auch einmal ein Pferd.
Wir sind sehr zahlreich.
Ich dachte, sie werden weniger.
Es nimmt nur die Anzahl derer von uns ab, die noch Tiere sind, weil viele – wie ich zum Beispiel – menschliche Gestalt annehmen..
Tatsächlich? Äh, wieviel – denken Sie denn – haben sich schon verwandelt?
Sehr viele. Und es werden täglich mehr.
Tatsächlich? Wie interessant.
Wir haben bereits auch hohe Positionen in Politik und Wirtschaft.
Na, haben Sie denn die nötige Erfahrung und Kompetenz dafür?
Ich bitte Sie, welche Kompetenz braucht man denn schon?
Das ist wahr.
Ich habe von Untersuchungen über unsere Intelligenz gelesen.
Tatsächlich?
Es wurde festgestellt, dass der durchschnittliche Intelligenzquotient verwandelter Pferde über dem ursprünglicher Menschen liegt.
Tatsächlich? Woran mag das liegen?
Wahrscheinlich daran, dass sich hauptsächlich intelligente Pferde umwandeln, wenn aber dann die Verwandlungen zunehmen, werden auch weniger intelligente Pferde zu Menschen werden und es wird sich die durchschnittliche Intelligenz wieder senken und sich etwa dem menschlichen Niveau angleichen.
Das leuchtet ein.
Ja, aber dazu kommt, dass die durchschnittliche Intelligenz menschlicher Menschen auch zunimmt. Man dachte zuerst, dass komme daher, dass die menschlichen Pferde einen guten Einfluss auf sie haben, ...
Tatsächlich?
Dem ist aber nicht so.
Nein?
Nein. Es wird hingegen angenommen, dass ...
... dass ...
..., dass sich weniger intelligente Menschen in Pferde verwandeln.
Und lässt sich das nicht genau feststellen?
Nur schwer.
Man müsste es doch statistisch erfassen können.
Nein, das geht nicht.
Tatsächlich? Wieso nicht?
Nehmen Sie an, es verwandeln sich hundert Pferde in Menschen und zehn Menschen in Pferde. Man würde nur feststellen, dass die Zahl der Pferde sich um neunzig vermindert und die der Menschen um den gleichen Betrag zugenommen hat. Und selbst diese Rechnung ist fehlerhaft, da man ja sämtliche Todesfälle und Geburten einrechnen müsste. Da es sich weder um eine ansteckende noch lebensbedrohende Krankheit handelt, ist es nicht meldepflichtig. Man nimmt zur Vereinfachung an, dass die Raten gleichbleiben, aber dem ist nicht so, da ...
Tatsächlich?
... nicht so, da man noch nichts über die Lebenserwartung von Verwandelten beider Arten weiß und auch nichts über die altersmäßige Verteilung der Verwandlungswilligen.
Ja. Nun scheint es doch schwierig zu sein.
Dazu kommt noch, dass man nicht weiß, ob sich bereits in Menschen verwandelte Pferde zurückverwandelt haben.
Das wird doch nicht so häufig vorkommen?
Es gibt Anzeichen, die dafür sprechen.
Tatsächlich?
Tatsächlich.
Was tatsächlich?
Bitte?
Sie haben „tatsächlich“ gesagt, was meinten Sie damit?
Sie haben aber zuerst tatsächlich gesagt.
Wirklich? Aber etwas anderes: Meinen Sie, äh, soll ich mich verwandeln?
In ein Pferd?
Ja, warum nicht, sie haben sich ja auch umorientiert. Ich möchte mich auch verändern.
Aber in ein Pferd?
Ich kann mich nicht in einen Menschen verwandeln.
Das ist wahr. Tatsächlich.
Ich verwandle mich jetzt, warten Sie bitte hier.
(Gronge geht kurz hinter die Bühne, kommt als Pferd zurück.)
So, ich bin fertig.
Tatsächlich.
Ich bin ein Pferd.
Tatsächlich, wie interessant.
Diese Skizze hatte ich ursprünglich mit 16 Jahren auf einer mechanischen Reiseschreibmaschine getippt, 38 Jahre später wiedergefunden und für den Schreibtisch im Spessart aufbereitet.
Peter Gröbner