Es war einmal vor vielen, vielen Jahren ein Land hinter vielen, vielen Bergen, dort lebten viele, viele Zwerge. Die mediengeilsten sieben von ihnen lebten hinter den vordersten sieben Bergen und waren durch eine Geschichte mit einem Mädchen, das sie versteckt hatten, berühmt geworden. Die vielen anderen unbekannten Zwerge aber lebten pressescheu und genügsam von kleinen Kuchen, die sie backten. Weil es nur kleine Kuchen und sie mühsam zu backen waren, kam es jahrhundertelang zu Streitigkeiten unter ihnen, die viele ob des bekannten Jähzorns der Zwerge nicht überlebten.

Die wenigen Überlebenden im Alter durchzufüttern, war nie ein Problem, auch weil es durch den technischen Fortschritt immer leichter wurde, die Kuchen zu backen. Die Kuchen wurden dank besserer Maschinen immer größer. Weil es aber nun mehr und größere Kuchen gab, wurden die Streitigkeiten seltener und auch durch die bessere Ernährung die Zwerge immer älter. Weil viele Zwerge nun Angst bekamen, sie würden dereinst, wenn sie keine Kuchen mehr selbst backen können, zu wenig Kuchen bekommen, riet man ihnen vorzusorgen.

Bald merkten sie aber, dass die Kuchen, die sie für ihr Alter auf die Seite legten, hart wurden. Man empfahl ihnen auch, in Kuchenbackmaschinen zu investieren. Als sie ihre Maschinen dann aber verkaufen wollten, gab es so viele am Markt, dass sie keiner wollte und kein ordentlicher Preis zu erzielen war. Das größte Problem war aber: Wer würde die alten zahnlosen Zwerge mit dem harten Kuchen füttern, ihn vorher in die Kaffeetassen tunken, wenn es immer weniger junge Zwerge gibt? Zwar blickten die Oberzwerge rings umher, ob sie irgendwo in fernen Landen Nachkommen verschleppter Zwerge fanden, die sie zurückholen konnten, damit es wieder junge Zwerge gebe, aber irgendwann half auch das nichts mehr.

Die Oberzwerge hinter den vielen, vielen Bergen hatten natürlich schon viele, viele Jahre früher vorausgesehen, dass es einmal zu einem Mangel an jungen Zwergen kommen müsse. Sie hatten daher verfügt, dass Zwerge mit Nachwuchs weniger Kuchen an die Obrigkeiten abzuliefern hatten. Gerade die vermögenden Zwerge, die hohe Kuchenabgabelasten hatten, bekamen jetzt wieder mehr Kinder. Sie konnten es sich wieder leisten, Nachkommen großzuziehen und trotzdem ihre Höhlen großzügig auszustatten.

Als diese Söhne und Töchter nun herangewachsen waren, wurden sie von den Oberzwergen gefragt, was sie bereit wären, für die Gemeinschaft beizutragen. Da antworteten manche, es wäre noch nicht so weit, ihre Ausbildung wäre noch nicht beendet. Sie müssen noch da und dort etwas und auch sich selbst verwirklichen. Noch ein paar Jahre, dann wären sie zu stattlichen Zwergen geworden und könnten selbst eifrig Kuchen backen.

So fuhren viele halbwüchsige Zwerge in tollen Zwergenschlitten durch das ganze Land zu den besten Ausbildungsstätten und zu Treffen der jungen Zwerge, wo es immer sehr laut zuging, wenn sie überlegten, wie sie am nächsten Tag der Zwergengemeinschaft wohl am besten helfen könnten. Leider waren sie dann morgens oft zu müde, beim Kuchenbacken zu helfen. Anderen fleißigeren unter den jungen Zwergen war ihre Heimat zu eng und zu bieder geworden. Sie gingen fort über das große Wasser ins Land der Riesen und verrichteten dort die Tätigkeiten, für welche sich die Riesen zu sehr hätten bücken müssen.

Die Oberzwerge wurden immer verzweifelter, die jungen Zwerge brauchten immer länger, alle Fertigkeiten zu erwerben und die Alten wollten sich immer früher in ihren Höhlen zur Ruhe setzen. Wer sollte da noch Kuchen backen? Und wenn sie nicht gestorben sind, knabbern sie noch immer mit ihren zahnlosen Kiefern an alten trockenen Kuchen, weil ihnen niemand neue Zähne zahlt oder sie haben sich – flexibel wie die Zwerge mittlerweile geworden sind – auf Breinahrung umgestellt.

Erstmals erschienen in zwei Glossen in der Rubrik „Abwägiges“ der lokalen Ausgaben der Main-Post am 28. August und 17. September 2003. Später habe ich entdeckt, dass ich in diesen Texten zumindest Aspekte der Mackenroth-These, die ich zum Zeitpunkt des Verfassens nicht kannte, beschrieb. Für den Schreibtisch im Spessart habe ich im Januar 2014 die beiden Teile zusammengefasst, ergänzt und überarbeitet.

Peter Gröbner